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Denkmal Mit Rissen

Zwanzig Jahre nach den Wahlen am 4. Juni wird deutlich, wie sehr sich der Staat verändert hat, in dem wir leben. Es ist aber auch zu sehen, dass im gesellschaftlichen Bewusstsein zwei extrem verschiedene Sichtweisen auf diese beiden Dekaden Wurzeln geschlagen haben. Wir haben ein Land, zwei Geschichtsschreibungen und kein Datum der Befreiung, das nicht von irgendeiner Seite angezweifelt würde.

Paradoxerweise sagt uns nur noch der Verstand, dass an jenem Juni-Sonntag die Wende vollzogen wurde und dass wir uns darüber freuen sollten. Die Emotionen aber, die eigentlich zum Feiern veranlassen sollten, machen in ihrer politischen Instrumentalisierung diese Freude zunichte. Die Dritte Republik Polen ist der Reformen, des Aufbaus des Kapitalismus müde, weit abgekommen von den ursprünglichen Idealen der Solidarność, die wie Aleksander Smolar sagt, es nicht geschafft hat, eine eigene Legende zu entwickeln. Ihr Bild wird hauptsächlich von ihren Feinden erschaffen, ihre Befürworter aber werden immer weniger und sind es leid, Dinge erklären zu müssen, die ihrer Meinung nach offensichtlich sind. Doch offensichtlich ist gar nichts mehr.

 

Die Kritiker des Umbruchs behaupten, die gesamte Wende ließe sich zusammenfassen als ein Übergang von der Epoche der Pseudogleichheit ohne Freiheit zu einer Etappe der Pseudofreiheit ohne Gleichheit. Und so kommt es, dass die radikalsten Kritiker der VRP (Volksrepublik Polen) die Wende des 4. Juni am wenigsten schätzen, die Dritte Republik mit dem alten Regime vergleichen und von einer VRP im neuen Gewand sprechen. Sie sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie, indem sie die polnische Transformation diskreditieren, die Volksrepublik - wenn auch ungewollt - aufwerten. Wenn sich so wenig verändert haben soll, kann es zu VRP-Zeiten gar nicht so tragisch gewesen sein. Im Endeffekt werden die errungene Unabhängigkeit und die Demokratie heruntergespielt, verwaschen, es werden ihnen unangefochtene Symbole genommen. Zum Jahrestag des 4. Juni werden späte politischen Kämpfe, persönliche Animositäten und sowohl wahre als auch aufgeblasene Affären ausgetragen. Wir haben selbst ein bisschen aufgehört, an den damaligen Enthusiasmus zu glauben, an die Besuche im Warschauer Café „Niespodzianka", an die glühende Suche nach einem Exemplar der Gazeta Wyborcza, an die Magie des Händedrucks von Lech Wałęsa auf den Plakaten aller Kandidaten des Bürgerkomitees. 

Die Helden der damaligen Ereignisse wurden kurz darauf in alle Winde verstreut, haben heute ihre eigene, komplizierte, oft kontroverse Biografie. Und weil jeder von ihnen ein Stück Legende mitgenommen hat und unterschiedlich damit umgegangen ist, ist es vielleicht deshalb heute so schwierig, sie zu rekonstruieren. Wir wissen, dass sich das System verändert hat, dass die Polen etwas Großes vollbracht haben: Die friedliche Revolution. Und dass ganze Generationen vom RGW in die Europäische Union eingetreten sind. Von der Epoche der Polonez-Autos und der fehlenden Lebensmittelauswahl sind wir zum freien Markt und zu einem Kontinent ohne Grenzen übergegangen. Doch die Skeptiker, Kritiker, Nörgler, lokalen Rächer und Abrechner, die sich auf das Unrecht am Volk berufen sorgen dafür, dass der 4. Juni 1989 wie gebeugt geht, dass er verblasst, dass er aufhört, die Menschen zu berühren. Und dabei bedeutet dieser Tag keinen abgeschlossenen Zeitraum, setzt nicht die würdevolle Patina eines nicht anfechtbaren Feiertages an. Als würden wir unsere eigenen Siege nicht mögen, als fänden wir sie verdächtig. Viel besser gelingen uns Märtyrer-Spektakel, Jahrestage von Aufständen, blutig zerschlagenen Demonstrationen und Kriegen.

Ohne Waisen, Witwen und Repressionen ist es uns zu normal. Der 4. Juni war immer zu normal, der Umbruch auf Raten brachte nicht so viel Freude, als wenn wir ihn in einem einzigen, würdevollen Akt vollzogen hätten. Scheinbar partizipieren heute alle an der Demokratie, alle konnten auch am 4. Juni wählen, aber weiterhin fühlen sich nicht alle an den polnischen Tisch geladen, erwarten Entschuldigungen, Entschädigung für Unrecht, Anerkennung zurückliegender Verdienste und stillen Mutes. Die Helden werden zu Verrätern gemacht und die, die vor zwanzig Jahren gar nicht hervorgetreten sind, steigen auf zu Giganten der Politik. Jetzt wird alles umgewertet, die Geschichte der Wende ist nicht festgeschrieben, es warten noch Unterlagen auf strenge Historiker. Über die Vergangenheit ist weniger bekannt als über die Zukunft. Und man ist sich nicht sicher, ob es einen Grund zur Freude gibt oder ob sich nicht herausstellt, dass die Wende 1989 gar keine große Wende war, sondern eine geplante, riesige Verschwörung der Kommunisten oder im besten Falle eine vertane Chance, was unverzeihlich wäre. Die nach langen Jahren erlangte Freiheit ist für viele kein eigenständiger Wert, wird heute wahrgenommen als ein Parameter der Bewertung, neben Durchschnittslöhnen, Steuern und Arbeitslosenzahlen. 

Deshalb fordern enttäuschte Stimmen, den Feiertag überhaupt nicht zu begehen, soll jeder die halbfreien Wahlen privat feiern, in kleinen Gruppen, je nach Anschauung und politischen Sympathien. Der Vorsitzende der heutigen Solidarność, Janusz Śniadek, gibt dem 4. Juni symbolische Bedeutung: Er soll der Tag der Gewerkschaftsdemonstrationen werden, der Kraftprobe vor dem polenweiten Protest gegen die Regierung. Der Feiertag bietet die Gelegenheit zu verhandeln, Bedingungen zu stellen, um Löhne zu kämpfen. Er wird benutzt.

35 sind wie 100

Dabei ist der 4. Juni noch immer kein anerkanntes Datum. Als im Frühjahr 1989 der Runde Tisch ins Leben gerufen wurde, war nicht sofort klar, dass es bald ein neues Polen geben und dass es eine neue Nummer bekommen würde: die Dritte Republik. Nach den Wahlen, die den polnischen Kommunismus wahrlich begraben hatten, bestand jedoch kein Zweifel mehr. Der 4. Juni hat die Kraft eines Symbols, aber es gebührt ihm auch ein Platz im Kalender, weil er deutlich dem Völkerherbst 1989 vorausgeht und die führende Rolle Polens im Prozess der großen Umbrüche verdeutlicht, der ganz Osteuropa erfasste und Westeuropa und Amerika zu geostrategischen Veränderungen zwang, um so mehr als das vereinigte Deutschland zum Teilnehmer und politischen Nutznießer dieser Umbrüche wurde. Und die Sowjetunion zum Verlierer.

Der 4. Juni hat eine weitere historische Bedeutung, weil es der erste Moment seit vielen Jahrzehnten war, an dem die Bürger die Chance hatten, ihre Meinung zu demonstrieren, ihre politischen Ansichten legal zu zeigen. Natürlich hatten sie sie auch früher und parallel auf tausende Arten verkündet: bei Streiks und Demonstrationen, indem sie an dieser besonderen Widerstandsbewegung teilnahmen. Am 4. Juni aber konnten sie ihren Überzeugungen nach den von beiden Konfliktparteien - der Regierung und der Gesellschaft - vereinbarten Regeln Ausdruck verleihen. Daher ergab sich die unanfechtbare gesellschaftliche Legitimierung für die durchzuführenden Veränderungen, was wiederum das alte Regime innerhalb eines Tages lähmte und - auch psychologischen - Raum für die Planung weiterer Veränderungen bot. 

Die Legitimierung der Wahlen hatte damals eine ungewöhnliche Kraft. Obwohl es nur die limitierten 35 Prozent der Mandate waren, zweifelte niemand daran, dass es eigentlich 100 Prozent waren, dass sich auf diesem Feld ein wahrer Kampf abgespielt hatte, als wäre es um 460 Plätze im Sejm gegangen. Vielleicht widersetzen sich die Abgeordneten der Regierungspartei auch aus diesem Grund den tief greifenden Reformen nicht. Die Wahlen waren ein Zugeständnis der kommunistischen Regierung an die Opposition, aber ihre Ergebnisse sorgten in paradoxer Konsequenz dafür, dass der 4. Juni plötzlich als Zugeständnis der neu entstandenen Demokratie an die Kommunisten interpretiert wird. Es war eine qualitative Veränderung vor sich gegangen, und Polen ist plötzlich in die Sphäre der demokratischen Standards eingetreten, in der primitive Vergeltung und Rache keinen Platz mehr haben.

Vielleicht war ja gerade so ein für die Solidarność eindeutig siegreiches Ergebnis in seinen weiterreichenden Resultaten sowohl eine politische Niederlage der Kommunisten und ihrer Welt, in der plötzlich offenen Epoche der Demokratie aber auch eine Rettung für diese. Ein schlechteres Ergebnis des Bürgerkomitees hätte keinen Systemumbruch gebracht, hätte den Status quo erhalten, der Konflikt hätte weiterhin bestanden und sowohl das Schicksal der Opposition als auch das der Vertreter des Regimes wäre unsicher gewesen. Im Falle einer siegreichen Revolte und eines gewaltvollen Machtwechsels hätten die Bedingungen für die Funktionäre der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) und den Machtapparat wesentlich schlechter ausgesehen, und die Opfer auf beiden Seiten hätten dafür gesorgt, dass das neue System, obwohl es theoretisch demokratisch gewesen wäre, die gesetzlichen und freiheitlichen Standards für eine gewisse Zeit beiseite hätte legen können, um mit den Feinden abzurechnen. Deshalb waren die Änderung des Systems an einem Tag und die Übergabe von einer Hand in die andere wie bei misstrauischen Kontrahenten eine außergewöhnliche Absicherung für beide Seiten. Im Grunde haben im polnischen Juni 1989 die politischen Wahlen für den gesamten Ostblock stattgefunden. Die Niederlage der polnischen Kommunisten bedeutete auch die Niederlage ihrer ideologischen Partner in der Tschechoslowakei, der DDR, in Ungarn und in den anderen Ostblockstaaten. Aber auch eine Garantie dafür, dass sie nicht vernichtet werden würden.

Wałęsas Kontinuität

Das Phänomen des polnischen Experiments beruht darauf, dass - wie nirgendwo in anderen Gesellschaften, die kurz darauf das Experiment wiederholt haben - die Opposition auf ein enormes Kapital an Erfahrungen und Überlegungen zurückgreifen konnte, dass sie sich in ihren Gremien auf Dutzende erfahrene Aktivisten verlassen konnte, die bereits mehrjährige Biografien als Dissidenten aufzuweisen hatten, Biografien, die manchmal bis in die 50er, auf jeden Fall aber in die 70er Jahre reichten. Bereits im August 1980 wendete die Opposition die so genannte Taktik der sich selbst begrenzenden Revolution an, um im Rahmen des Systems, das damals unantastbar war, möglichst viel Raum einnehmen zu können. Hauptsache, man hatte den Fuß in der Tür. Im Frühjahr 1989 hatte man die Taktik der sich selbst begrenzenden Demokratie auch deshalb angenommen, um eben diesen Fuß in die Tür zu bekommen. Mit Erfolg, wie sich am 4. Juni herausstellte.

Diese Kontinuität personifizierte natürlich am stärksten Lech Wałęsa, der in den 80er Jahren unangefochtene Anführer der Opposition. Auch auf seine Initiative hin entstand an der Schwelle der großen Umwälzungen eine führende Elite, obwohl es nicht ohne Ärger, Beleidigtsein und Ausschließungen abging. Der gesellschaftliche Akt des Vertrauens war dennoch so stark, dass diese Art und Weise der Regierungsübernahme durch von Wałęsa berufene Personen niemand effektiv politisch in Frage stellen konnte, obwohl es Versuche gegeben hat. Dieser Vertrauensbeweis konnte jedoch nicht ewig halten, um so mehr als die durchzuführenden Reformen gesellschaftlich ungewöhnlich schmerzlich waren und die sich ausbreitende Demokratie begann, Fragen nach der Art und Weise der Wahl der politischen Führung zu stellen. Ja, mit dem Recht einer Demokratie begann sie vor allem nach inneren Unterschieden zu suchen und bereits angenommene, aber als übergestülpt empfundene politische Ziele und Mittel in Frage zu stellen. Für diese Politik war ein bitterer Preis zu zahlen, um so mehr als nicht ohne offensichtliche Gründe plötzliche Vorwürfe auftauchten, die Regierenden und ihre Anhänger seien arbiträr und arrogant, sie akzeptierten nur ihre eigene Sichtweise, erpressten andere mit ihrer politischen Korrektheit, besäßen ihre Autoritäten und Salons, blockierten und knebelten die Demokratie. Das wird bis heute erzählt.

Schmerzliche Gleichheit

Aus dieser Sicht lassen sich die letzten zwanzig Jahre in mehrere Abschnitte unterteilen. Die alte Periodisierung, für die Umbrüche wie der zweifache parlamentarische Sieg der Kommunisten wichtig war, verliert immer mehr an Bedeutung. Sie wird verdrängt von der Periodisierung unter dem Zeichen der Vierten Republik. Die für das Post-Solidarność-Lager schmerzlichen und erniedrigenden politischen Triumphe der SLD passten jedoch in die Philosophie der Dritten Republik, man kann sogar sagen, sie waren beinahe ihre Krönung, denn sie bedeuteten: Im freien Polen sind alle gleich. Diese Philosophie wurde bereits nach dem 4. Juni 1989 in Frage gestellt, aber richtig angegriffen hat man sie erst nach 2005, nachdem Jarosław Kaczyński an die Macht gekommen war. Angriffsziel war nicht nur die Philosophie, sondern eigentlich die gesamte vorangegangene Geschichte der Dritten Republik, in der man nur eine einzige positive Episode finden konnte, nämlich die Regierungszeit von Jan Olszewski. Er stürzte am 4. Juni 1992. Mit diesem Datum versuchte man die Wendedaten von vor zwanzig Jahren zu verdecken.

Zu verdecken, weil die Kaczyński-Brüder ihre Miturheberschaft des Wahlsiegs vor zwanzig Jahren nicht verleugnen können und selbst gewisse Probleme mit der Frage haben, ab wann sie ihre Geschichte um den Unabhängigkeitskampf zu schreiben beginnen sollen. Denn wann, um welche Uhrzeit, an welchem Tag wurde in ihren Köpfen die Vierte Republik Polen geboren? Ihr Beginn ist nebulös und so weit dehnbar, dass er zuweilen bis in die 70er Jahre zurückgeht, als Jarosław Kaczyński - wie er selbst erzählt - erstmals Aversionen gegen Jacek Kuroń und dann gegen Bronisław Geremek empfand. Die Vierte Republik wurde wirklich geboren, als es den Kaczyńskis nicht gelang, Wałęsa unter Kontrolle zu bekommen und mithilfe des zukünftigen Präsidenten ein starkes Gegengewicht zur Regierung zu bilden, obwohl sie sich in seinem engsten Kreis bewegten.

Und dann kam eines zum anderen. Es lässt sich für die letzten zwanzig Jahre der folgende Rhythmus zeichnen: vom 4. Juni 1989 bis zu Olszewskis Regierung gab es die Dritte Republik Polen; während dieser Regierung zeigte sich ein paar Monate lang die Vierte Republik mit ihrer damaligen Lustrations-Affäre. Nach dem 4. Juni 1992 kehrte die Dritte Republik wieder zurück. In den Jahren 2005-2007 musste sie sich gegen die Ideologie und die Praktiken der Vierten Republik verteidigen, die nach ihrer Wahlniederlage jetzt auf eine neue Chance wartet. Wäre sie nicht als Projekt und als konkrete Politik aufgetaucht, hätte sich die Dritte Republik evolutionär sicher immer weiter aus dem Fenster hängen, hätte in die Zukunft fliehen müssen, wie vor sich selbst, da sie alle Grundziele, besiegelt durch die Mitgliedschaft Polens erst in der NATO, dann in der Europäischen Union, erreicht hatte. Geschwächt von der Rywin-Affäre und angesichts der hohen Anforderungen Europas, musste sie sich neue Aufgaben stellen und passende Mittel finden, dazu eine neue Politik.

Aber auch der Dritten Republik wurde das Recht auf eine historische Existenz abgesprochen, sie wurde als das Böse dargestellt, und eigentlich wurden alle Fakten und Ereignisse, auf die wir wirklich stolz sein könnten, als Korumpierung heiliger Ideen, als Ergebnis schändlicher Verschwörungen und Beziehungen und als verbrecherische Fehler und Dummheiten interpretiert. Es gibt hier keine Chance auf einen Kompromiss, es ist nicht möglich, sich auf halber Strecke zu treffen, weil die Wege in gegensätzliche Richtungen verlaufen. Es ist auch nicht möglich, auf dieser Gegenläufigkeit irgendeinen gemeinsamen Wert festzulegen, weil die Unterschiede zerstörerisch sind und sich - ein erschreckender Gedanke - für viele Jahre, wenn nicht sogar Generationen lang manifestieren. In den vergangenen Jahren hat man sich unmoralischer Methoden bedient, um die Moral wieder einzuführen, man hat um der freiheitlichen Wahrheit Willen gelogen, man hat sich unanständig verhalten, damit Anstand einziehe. Unter solchen Bedingungen mussten die Bewertungen unterschiedlich ausfallen. Es herrscht ein Chaos der Werte, jeder hat für sich Recht, selbst wenn er Unrecht hat.

Ein so extremer Riss wie heute ging wahrscheinlich nicht einmal 1981 durch die polnische Gesellschaft. Er wird außerdem immer tiefgreifender. Er verläuft durch berufliche Milieus, einstige Freunde, Familien, schürt Hass in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Erkennt man einen politischen Feind, kann das selbst bei Freizeitaktivitäten alle Beziehungen und Zusammenhänge zerstören. Dieser Konflikt, der innerhalb der letzen zwanzig Jahre Stück für Stück gewachsen und auf den ersten Blick nicht deutlich erkennbar ist, hat heute nicht nur politische Dimensionen, sondern auch zivilgesellschaftliche angenommen. Die Kommunisten, einst der Hauptbezugspunkt für die Post-Solidarność-Formation, haben an Bedeutung verloren. Jetzt verläuft die Frontlinie anders, nämlich entlang der Frage, wie die Rolle des Staates definiert wird, die Rolle des Gesetzes, der Geschichte, verschiedener Demokratievisionen und sogar die Rolle der Moral.

Die alte Teilung wird reaktiviert: Wir - die anderen. Reanimiert werden auch alte und für immer abgeschlossen geglaubte - jedenfalls hatten wir das gehofft - Ressentiments und Geister der Intoleranz und Xenophobie. Gefördert wird das durch Politiker, die versuchen, die Demokratie für den Machtkampf und ihre eigene Geschichtsvision zu missbrauchen. Die Demokratie hört auf, ein an sich wünschenswerter Zustand zu sein, der keiner zusätzlichen Legitimierung bedarf. Sie wird zu einem Mechanismus, der zunächst zur Macht führt und danach demjenigen dient, der die Macht besitzt. Demokratie nutzt sich schnell ab, wenn sie als Instrument benutzt wird. Sie wird zur Attrappe, wird zur puren Wahlordnung. Die größte Gefahr in den letzten zwanzig Jahren stellten Epochen dar, in denen es „um etwas ging". Wenn es in der Demokratie „um etwas geht", muss man sofort Alarm schlagen.

Wenige Verteidiger der Legende

Man glaubte, einen Klassiker zu zitieren, ein 'dummes Volk' kauft alles. Nur beweist das Volk manchmal auch, wie klug es ist. Sowohl in der länger zurückliegenden Geschichte als auch in der neueren, beispielsweise im Herbst 2007. Sicher hat es das auch im Juni 1989 gezeigt, als es eben so und nicht anders gewählt hat und als es später geduldig und würdig die Schwierigkeiten der abrupten Transformation ertragen und an ihren höheren, patriotischen und bürgerlichen Sinn geglaubt hat. Und ganz sicher lässt es sich heute mehrheitlich nicht einreden, es hätte umsonst ertragen und erlitten, es sei betrogen und ausgenutzt worden. Im Jahr 2007 hat die Bürgerplattform, die als einzige Partei in der Lage war, die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) aufzuhalten, großen Zuspruch bekommen. Die Bürgerplattform wurde von Menschen gewählt, die sich vor Jarosław Kaczyński, seinen Worten und Taten fürchteten, selbst wenn ihnen vieles in der Gruppierung um Donald Tusk nicht gefallen hat.

Dieser Zuspruch wirkt weiterhin. Leider hat Tusk weder damals noch später ein klares und entschiedenes Konzept zum Schutz der Geschichte der letzten zwanzig Jahre entwickelt, sicher auch deshalb, weil die Bürgerplattform 2005 ebenfalls von der Vierten Republik gesprochen hat. Als wäre sie der Meinung, es genüge, die aktuelle Politik zu bewerten um zu wissen, wen man wählen soll. Als hätte sie nicht das Bedürfnis, den Streit um die Geschichte wieder aufleben zu lassen. Offensichtlich haben der Bürgerplattform Herz und Ideen für eine Feier zum Jahrestag des 4. Juni gefehlt, für einen Feiertag, den sie als ein großes Nationalfest und eigenes Parteifest hätte etablieren können, den sie zu einem festen und sicheren Punkt ihrer eigenen Geschichtspolitik hätte machen können.

Das ist ein Fehler, denn dieser Jahrestag ist eines der wichtigsten Elemente der aktuellen Politik, innerhalb der Krieg geführt wird um die Erinnerung und um die Zukunft. Auf diesem Feld verliert die Bürgerplattform gegen die PiS. Weder nimmt sie der PiS bestimmte Daten weg - wie den Jahrestag des Warschauer Aufstandes - noch sorgt sie für eigene Daten. Alles ist in Auseinandersetzungen untergegangen. Denjenigen, die mit der Dritten Republik unzufrieden sind, sehnen sich nach einer heroischen Geschichtsversion. Es fehlt ihnen ein deutliches Symbol, manchen gar Opferblut oder eine spektakuläre Rache. Der unscheinbare Wahl-Akt, an dem im Übrigen beinahe 40 Prozent der Gesellschaft gar nicht teilgenommen haben, kann sich so nicht mit dem Abriss der Berliner Mauer messen, nicht einmal mit der samtenen Revolution, mit den enthusiastischen Massen auf den Prager Straßen. Selbst die DDR-Stasi hat im globalen Bewusstsein unseren kaum bekannten Sicherheitsdienst übertroffen. Dabei war der Fall der Mauer in Berlin gar kein revolutionärer Akt, sondern Folge der Veränderungen vor allem in Polen. Den Deutschen drohte nichts mehr, weil das Regime im Zerfall begriffen war und sich herausgestellt hatte, dass die Kommunisten gar nicht mehr stark bzw. nicht offen für konfrontative Lösungen waren. Ein entscheidender Moment waren die polnischen halbfreien Wahlen oder genauer gesagt die Reaktion der Kommunisten auf deren Ergebnis. Die Anerkennung der Wahlen war de facto eine Einverständniserklärung mit den späteren Konsequenzen.

Sturm auf den Palast

Gerade in dem überraschend Normalen dieser Wende lag paradoxerweise ihre Kraft, weil es gezeigt hat, dass die Kontinuität eines Staates selbst bei einem Wechsel des politischen Systems möglich ist. Das, was heute viele als Verrat empfinden, also das berühmte pacta sunt servanda, der mystifizierte dicke Strich, die Einigung mit den Kommunisten, war ein natürlicher politischer Prozess. Hätte es in der Gesellschaft tatsächlich das Bedürfnis nach Rache gegeben, nach Vergeltung, nach Erniedrigung der VRP-Leute, hätte das niemand aufhalten können. Es war in der Geschichte schon oft so, dass wenn sich gemäßigte Strömungen etabliert haben, die Straße anders entschied, die Festlegungen kippte und sich aufmachte, „den Palast zu stürmen". In Polen aber wurde nicht einmal die Wahlurne gewaltsam gestürmt. Heute ist die Sehnsucht nach einer spektakulären Attacke offensichtlich, aber auch die Irritation, dass so etwas nun nicht mehr möglich ist, weil im Palast kein Imperator mehr sitzt. Vielleicht sucht man deshalb nach einem Ersatz für ihn, nominiert deshalb neue Feinde.

Es scheint, als hätte der Verlauf der großen polnischen Wende sehr gut das Verhältnis der Mehrheit der Polen zur VPR gezeigt: Antipathie, Verachtung, Müdigkeit, Genugtuung über die Möglichkeit, der PZPR eins auswischen zu können. Aber eben kein Hass mehr, der Selbstjustiz betreiben und Parteikomitees abfackeln lässt. Im Grunde ist es in Polen bis heute schwierig, für irgendeine Sache Massen auf die Straßen zu bringen. Während sich in Paris oder Rom niemand über Millionen von Menschen wundert, die vor den Palästen stehen und gegen Steuerpolitik oder für den Schutz der Familie demonstrieren, sind bei uns Demonstrationen mit zehntausenden Menschen zur Legende geworden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass deshalb die politische Revolution ein wenig familiärer ausgefallen ist, eher etappenweise, irgendwie wenig spektakulär, allerdings überaus wirksam. Man darf die Behauptung riskieren, dass diese Transformation so war wie die Stimmung der Bürger, ihre Ängste, ihr Zögern, auch das ökonomische Bewusstsein. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Opposition, die den Wandel ausgehandelt hat, dies in der inneren Überzeugung tat, die polnische Demokratie wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn sie mit Entrechtung, Ausschluss und Brandmarkung eines Teils der Gesellschaft begonnen hätte. Ein gewaltsamer Umsturz hatte - das kann man heute im Rückblick von zwei Jahrzehnten sagen - noch vor dem 4. Juni stattfinden können, beispielsweise wenn die Verhandlungen am Runden Tisch noch während der Übergangsphase aufgelöst worden wären. Jedoch gab es diese Gründe nicht. Das Wunder der Demokratie in Polen war ein organisatorisches Wunder, es blieb immer weniger Platz für „Verrücktes". Die Entscheidung für einen Weg hat automatisch andere Wege ausgeschlossen. Die Wahlen waren ein solcher Weg, der die polnische Revolution in Richtung demokratischer Strukturen lenkte. Um dies zu ändern und wieder zur strafenden Hand der Revolution zurückzukehren, hätte man im Grunde die Wahlen negieren, also das tun müssen, wovor sich die kommunistische Seite fürchtete. Dafür gab es in der damaligen Opposition weder politischen noch moralischen Rückhalt.

Als Johannes Paul II. durch das freie Polen pilgerte und während eines Besuchs im Parlament seine berühmten Worte „Da habt ihr ja was angestellt" sprach, sagte er dies mit der Freude und dem Stolz eines Polen, der Zeuge eines unglaublichen und unvorstellbaren Wunders geworden war. Leider teilen viele Polen den Enthusiasmus ihres Papstes nicht. Vielleicht ändert sich das im nächsten Jahrzehnt ...

 

Der Artikel wird in der Polityka Nr. 23/2009 am 03.06.2009 erscheinen. Übersetzung Antje Ritter-Jasinska 

 

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