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Wałęsas Geheimnisse

Lech Wałęsa  Fot. Wikipedia Lech Wałęsa Fot. Wikipedia
Es schien, als sei er schon in die Geschichte eingegangen, als werde er - soweit die Kräfte und die Gesundheit reichen - in Ruhe durch die Welt reisen als das schillerndste Symbol Polens mit dem höchsten Erkennungswert. Doch er ist in die Gegenwart zurückgekehrt, weil Historiker des IPN es so beschlossen. Und damit wurden Fragen wieder lebendig, wer Lech Wałęsa eigentlich war und ist.

Wir kennen ihn schon beinahe 30 Jahre. Ein Pole, von dem die ganze Welt gehört hat, ein Arbeiter, der den Kommunismus zum Einsturz brachte, ein Nobelpreisträger, der erste Präsident des freien Polen Aber auch ein stolzer Pfiffikus, der alle seine Verlautbarungen mit dem Pronomen „ich" beginnt und der auf seinem Lebensweg einen abgenutzten menschlichen Stoßfänger nach dem anderen hinter sich gelassen hat.

Er ist groß und zugleich klein, klug und einfältig, großmütig und kleinlich Jeder wird ohne große Mühe seine eigenen Gedanken und Meinungen darlegen, bis hin zu extremen und endgültigen: Held oder Verräter. Sie fallen umso leichter, als Wałęsas Leben nach wie vor eigentlich unbeschrieben ist, obwohl ihm Millionen Worte gewidmet wurden. Doch das sind gerade einmal Beiträge zu seiner Biographie. Und die birgt Geheimnisse, vielleicht auch interessantere als der "Fall Bolek".

Aus Popowo in die Welt

Im Frühjahr 1967 steigt der 24jährige Lech Wałęsa am Danziger Hauptbahnhof aus dem Zug. Gerade hat er die vielleicht erste wichtige Entscheidung seines Lebens getroffen: sein Elternhaus in Popowo, einem winzigen Dorf in der Dobrzyner Seenplatte, zu verlassen. Dort war er (mit sechs Geschwistern) unter der Aufsicht der Mutter und des Stiefvaters aufgewachsen (der Vater starb, als Lech anderthalb Jahre alt war). Im nahen Lipno absolvierte er die Berufsschule in der Klasse für Landwirtschaftsmechanik, und nach Ableistung des Militärdienstes im Rang eines Unteroffiziers kehrte er zurück in sein Dorf und zum Reparieren von Traktoren in der Staatlichen Maschinenstation. Als aber zum Grau eines solchen Daseins das gekränkte Ehrgefühl eines von einem Mädchen Verlassenen hinzukommt, beschließt er - buchstäblich von einem Tag auf den anderen - alles zu verändern. Zu Hause sagt er nur, er wolle frische Luft schnappen.

Gleich nach Verlassen des Zuges trifft er einen Kollegen von der Berufsschule, der auf der Danziger Werft arbeitet und ihm rät, dasselbe zu tun. Wałęsa bewirbt sich dort am 30. Mai. Er bekommt Arbeit als Schiffselektriker in der Abteilung W-4. Die sozialen Bedingungen sind schaurig Man arbeitet oft unter freiem Himmel, als Umkleideräume dienen alte Waggons. Es gibt keine Kantine, und die Arbeiterwohnheime sind Ruinen. Das Akkordsystem geht den Arbeitern aufs Portemonnaie. Aber für den jungen Wałęsa ist es die große weite Welt: eine Großstadt, neue Bekannte, die Möglichkeit, sich zu amüsieren, Wodka, Mädchen. Ebenso übrigens wie für Hunderte anderer junger Männer aus der Provinz in der VRP unter Władysław Gomułka, die in der Arbeit in den sogenannten Großbetrieben des Sozialismus die Chance auf ein besseres Leben sahen.

Der Dezember und ein Geplänkel mit dem Sicherheitsdienst

Am 14. Dezember 1970, als in der Danziger Werft als Protest gegen die von der Regierung verkündeten drastischen Preiserhöhungen ein Streik ausbricht, hat Lech Wałęsa frei - er möchte für seinen soeben geborenen Sohn Bogdan einen Kinderwagen kaufen. Doch als er am nächsten Tag morgens zur Arbeit kommt, schließt er sich den Werftarbeitern an, die zum Direktionsgebäude gehen, um sich nach den Erhöhungen und den von der Miliz festgehaltenen Kollegen zu erkundigen. Er ist in einer Gruppe, die mit dem Werftdirektor spricht, und geht später mit anderen Protestierenden hinaus auf die Straßen der Stadt.

Sie gehen zum Wojewodschaftskomitee der Partei und zur Kommandantur der Miliz. Dort - wie er sich erinnert - verhandelt er erneut über die Freilassung der Festgenommenen. Aber weil Straßenkämpfe beginnen und Schüsse fallen, geht er zurück nach Hause und später zur Werft. Die Kollegen wählen ihn - obgleich er kaum 27 Jahre alt ist - ins Streikkomitee für die Gespräche mit den Behörden. Bis zu diesem Augenblick ist das die banale Biographie eines volkspolnischen Arbeiters. Plötzlich kommen Züge zum Vorschein, die für einen Zugezogenen aus dem Dorf sehr untypisch sind: Rebellentum und Führungsqualitäten. Wałęsa springt über seine erste Mauer.

In der Nacht stellt sich heraus, dass die Werft von der Armee umstellt ist. Am Morgen des 16. Dezember fallen am Tor Nr. 2 Schüsse. Es gibt weitere Tote und Verletzte. Vor Mitternacht erhält der Rat der Delegierten ein Ultimatum: Wenn der Protest andauert, werden die Soldaten den Betrieb stürmen. Der Streik bricht zusammen, vor Morgengrauen gehen die Arbeiter nach Hause.

Jahre später wird Wałęsa zugeben, damals die Verantwortung gefürchtet zu haben. Schließlich hatte er keine Erfahrung in der Menschenführung. Er sagt: Ich hatte verloren. Aber er war aus der Reihe herausgetreten und bemerkt worden, auch von der Obrigkeit. Kurz darauf betritt der Sicherheitsdienst (SB) die Wohnung der Wałęsas. Bevor Wałęsa abgeführt wird, lässt er seiner Frau den Ehering und die Uhr zurück, damit sie sie in Notzeiten verkaufen kann. Aus dieser Inhaftierung kam er - wie er selber bestätigt - nicht ganz sauber heraus, weil er mit den Funktionären redete und, als sie seine Unterschrift zur Bedingung machten, nachgab. Mit guten Gründen bezeichnet er jedoch diese Situation als Geplänkel. Sogar falls jene Unterschrift nicht lediglich die Verpflichtung bedeutete, das Gespräch geheim zu halten oder die Rechtsordnung der VRP zu achten, sondern ihr Berichte über die Lage auf der Werft folgten.

Man sollte bedenken, dass nicht viele Stunden seit der blutigen Pazifikation des Protests vergangen waren - Wałęsa hatte Tote und Verprügelte gesehen. Das Entsetzen ging einher mit dem Gefühl der Niederlage. Und dass es Ende der 70er Jahre, auch unter den damals wenigen Oppositionellen, noch nicht Usus war, Antworten auf Fragen der Funktionäre zu verweigern. Es gab in jener Zeit auch noch keine Strukturen einer organisierten Opposition, also konnte er auf keinerlei Unterstützung rechnen - auch nicht für seine Familie (mit einem Säugling und einer Frau, die gerade entbunden hatte). Sogar von Seiten der Kirche nicht, denn der damalige Danziger Bischof Lech Kaczmarek wollte sich bei den Behörden nicht missliebig machen.

Auch in den folgenden Monaten war es nicht besser. Die noch im Dezember vom Sicherheitsdienst eingeleitete Operation „Herbst 70", die die aktivsten Teilnehmer an den Protesten „neutralisieren" sollte, war eine der größten in der Geschichte der volkspolnischen politischen Polizei. Sie sah die Anwendung der gesamten Skala repressiver Mittel vor, von sogenannten prophylaktisch-verwarnenden Gesprächen über Bespitzelung, Kompromittierungsversuche, Einschüchterung und Anwerbung zur Zusammenarbeit bis zur Entlassung aus der Arbeit oder der Einberufung in die Armee.

Zugleich weckte der Wechsel auf dem Posten des Ersten Parteisekretärs allgemein Hoffnungen auf ein Abrücken vom Sozialismus Gomułka'scher Prägung. Auch Wałęsa selbst hat nie verhohlen, dass er Edward Gierek glaubte. Ähnlich wie viele Polen und die Werftarbeiter selbst, die im Dezember 1971 während eines Treffens mit dem frisch ernannten Parteichef auf seinen Appell um Unterstützung im Chor antworteten: Wir werden helfen! Später erinnerte er sich, dass die Erklärung der neuen Equipe, unter ihnen werde niemals ein Pole auf einen Polen schießen, besonderen Eindruck auf ihn gemacht habe. Bezeichnenderweise ist Wałęsa damals einverstanden, die Funktion des gewerkschaftlichen Arbeitsschutz- und -hygieneinspektors zu übernehmen. Er mag sich durchaus vorgestellt haben, dass dies ein gutes Instrument ist, um sich für die Arbeitnehmerrechte einzusetzen. Institutionen dieser Art wurden in der VRP noch lange als legale, mitunter sogar wirkungsvolle Form des Kampfs für eine Verbesserung der Lage auf Betriebsebene angesehen, denn nur so weit konnten die Forderungen reichen. „Erst irgendwann 1973-1974 wurde mir klar, dass alles zum alten Drill zurückkehrt", erzählte er seinen Freunden von der Opposition 1979, als die Illusionen über Gierek schon geplatzt waren.

Im Februar 1976 wird Wałęsa wegen seiner Aktivitäten in den offiziellen Gewerkschaften, die den Erwartungen der Obrigkeit widersprachen, entlassen. Selbst die eifrigsten Ankläger bestreiten nicht, dass eine eventuelle Zusammenarbeit mit dem SB sehr schnell und unwiderruflich abgebrochen wurde. Andere fügen hinzu, „selbst wenn", dann habe Wałęsa nach diesen Erfahrungen sicherlich ein Abwehrgen gegen Unterdrückung seitens der Stasi in sich gezüchtet, und jene Bolek-Episode (wenn es sie gab) habe ihn nicht gebrochen, sondern im Gegenteil: radikalisiert.

Freiheit in freien Gewerkschaften

Am 3. oder 4. Juni 1978 klopft Wałęsa an der Wohnung von Krzysztof Wyszkowski in der Pomorska-Str. 14 in Danzig an. Die Adresse hat er in dem Flugblatt mit der „Erklärung der Freien Gewerkschaften der Küste" (WZZ) gefunden. Das Gründungskomitee der WZZ fordert, für die Interessen der Arbeiter und die Menschenrechte zu kämpfen, nur zählt es damals gerade einmal drei Personen. Der SB beginnt mit Repressionen. In eben der Zeit meldet sich Wałęsa bei der Handvoll Dreistädter Oppositioneller und bietet seine Hilfe an.

In seinen Ansichten ist er extrem und wütend auf die Obrigkeit: Er schlägt die Methode „Auge um Auge" vor - für jeden Verhafteten ein Gebäude der Miliz oder der Partei durch Bewurf mit explosiven Materialien zu zerstören, nachts, damit es keine Opfer gibt. Das passt überhaupt nicht zu der friedfertigen Aktionsformel der Opposition Bogdan Borusewicz vom Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und Andrzej Gwiazda (einer der Gründer der WZZ) müssen Wałęsa den Kern der programmatischen Losung von Jacek Kuroń erläutern, den die gesamte mit KOR verbundene Opposition übernommen hatte: „Statt Komitees abzubrennen, lasst uns eigene gründen."

Wałęsas markiges Entrée in die Opposition lässt sich mit der tief in ihm verwurzelten Erinnerung an das Verhalten der Obrigkeit im Dezember '70 erklären. Zumal Nachrichten über die Pazifikation der Arbeiter im Sommer 1976 in Radom, Ursus und im nicht weit entfernten Elbing diese Erinnerungen auffrischen konnten. Auch diesmal brachen die Proteste gegen Preiserhöhungen aus und die Machthaber wandten Gewalt an. Zwar entschieden sie, nicht mehr zu schießen, aber Knüppel und Tränengas wurden eingesetzt. Wieder trieb die Miliz die Streikenden durch sogenannte Trimmpfade, und die Propaganda bezeichnete sie als Aufwiegler und Unruhestifter.

In der kleinen Gruppe der WZZ ist Wałęsas Trumpf, dass er die Teilnahme am Streik 1970 hinter sich hat. Und mit seinem Temperament eignet er sich hervorragend für Flugblatt- und Vertriebsaktionen. Er ist schnell auf den Beinen. Zudem besitzt er als einziger ein Auto: Gerade hat er einen schrottreifen Warszawa repariert. Im November 1978 erhält er die Kündigung von der nächsten Arbeitsstelle. Immer öfter wird er festgenommen und vor die [bei den Lokalverwaltungen angesiedelten, meist von Nichtjuristen besetzten] Kollegien [für Übertretungsfälle] gestellt. Danach verliert er dann wieder die Arbeit - dabei hat er schon fünf Kinder zu ernähren.

Heute erinnern sich einige WZZ-Aktivisten, dass Wałęsa ihnen während eines der Treffen von seinen Gesprächen mit dem SB Anfang der 70er Jahre erzählt haben soll. Seine eigenen Schilderungen sind diesbezüglich unklar und widersprüchlich, offenbar würde er diese paar Seiten am liebsten aus seinem Lebenslauf herausreißen, was er - wie Zeugen, Politiker und Historiker nicht ohne Begründung behaupten - als Präsident im bereits wiedergeborenen Polen auch zu tun versuchte.

August und Karneval

Am 10. August 1980 amüsiert sich Wałęsa gerade auf der Namenstagsfeier eines seiner Freunde von der Opposition, als ihn Bogdan Borusewicz diskret - aus Sorge, abgehört zu werden - hinaus auf den Hof bittet. Er versucht, ihn davon zu überzeugen, dass der perfekte Moment für einen Streik gekommen sei: Drei Tage zuvor hatte die Direktion der Danziger Werft die Kranführerin Anna Walentynowicz gefeuert, die der WZZ angehörte. Wałęsa zögert, weil gerade sein sechstes Kind geboren worden war. À propos: Wenn Bogdan Borusewicz, der Kopf der Dreistädter Opposition, der Initiator und Hauptorganisator des Streiks, irgendwelche Verdachtsmomente gegen Wałęsa gehabt hätte, hätte er ihn über seine Pläne informiert, ja - ihm sogar eine Schlüsselrolle in dem Protest zugedacht?

Am Donnerstag, dem 14. August, beginnen die Werftarbeiter ihren Protest. Als es zu der für die weitere Entwicklung des Streiks entscheidenden Begegnung mit dem Werftdirektor kommt, taucht Wałęsa doch auf. Er steht an die Spitze des Streikkomitees und leitet den Protest bis zum Schluss. Als die Machthaber auf die Gehaltsforderungen eingehen und die meisten Werftarbeiter endlich nach Hause gehen wollen, überredet er sie nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit, den Streik im Namen der Solidarität mit den anderen Betrieben fortzusetzen. Trotz des Drucks der Regierungsunterhändler lässt er nicht von der fundamentalen - und für die Kommunisten am schwersten zu verdauenden - Forderung nach der Gründung unabhängiger Gewerkschaften ab. Nach der Unterzeichnung der August-Vereinbarungen steht er an der Spitze der, wie sich herausstellt, größten oppositionellen gesellschaftlichen Bewegung im kommunistischen Teil Europas. Lech Wałęsa verwandelt sich im Laufe weniger Wochen von einem lokalen Warlord der Opposition zur Leitfigur einer gegen das System gerichteten Massenbewegung. Dieses System, „mit der Sowjetunion an der Spitze", wird auf die spektakulärste und schmerzlichste Art und Weise attackiert - von Arbeitern mit einem Arbeiter an der Spitze.

Wenn als ein wesentliches Merkmal einer Revolution - und die sogenannte erste Solidarność war eine Revolution - oft ein Zustand von völligem Chaos und Unsicherheit und das Aufeinanderprallen verschiedenartiger Interessen, aber auch der Charaktere ihrer Anführer angesehen wird, dann erwies sich, dass Wałęsa sich darin ausgezeichnet zurechtfand. Ohne eine Spur von Komplexen gegenüber der Obrigkeit, den eigenen Beratern, gegenüber Journalisten oder den internationalen Politikern und Staatsführern, die von dem schnauzbärtigen Revolutionär fasziniert waren.

Das ist eines von Wałęsas weiteren Geheimnissen: War jene Komplexlosigkeit nur das Ergebnis von Unverfrorenheit, von Geltungsbedürfnis? Vielleicht von mangelnder Bildung und der damit einhergehenden Distanz zu den „Professörchen" und „Intelligenzlern"? Oder begann, zumindest mit der Zeit, vielleicht auch die Glaubwürdigkeit der getroffenen Entscheidungen, die den sich festigenden moralischen Überzeugungen entsprang, eine immer größere Rolle zu spielen? Nicht ohne Grund stellt Wałęsa seit dem Ende der 70er Jahre immer öfter seine Religiosität und Verbundenheit mit dem „polnischen Papst" zur Schau

Nach dem August wird Wałęsa zu dem Gesicht mit dem höchsten Wiedererkennungswert in der Welt, und alle pilgern nach Danzig, um diesen außerordentlichen Moment der Geschichte zu sehen und zu erleben, um sich anzuschließen, zu unterstützen, zu helfen und zu beraten, um Wałęsa zu sagen, wie er forthin handeln soll. Von den Ratschlägen macht er Gebrauch, er fordert sie geradezu an, aber er lässt sich weder von den alten Kumpeln aus der Opposition, noch den Autoritäten aus Warschau majorisieren, hinter denen bereits legendäre Erfahrungen des Kampfes gegen das Regime standen. In „Ein Weg der Hoffnung" schrieb er: „Im Grunde genommen bin ich wirklich ein Einzelgänger. Das heißt, dass ich allen Fragen allein auf den Grund gehe Natürlich aufgrund der Gespräche, Beobachtungen und Situationen, an denen ich beteiligt bin. Aber ich erlebe und wäge allein ab."

Niemand ist jedoch imstande, die These zu verfechten, dass Lech Wałęsa in diesen 16 Monaten des Karnevals versagt, dass er nicht die Last der Geschichte getragen, dass er irgendeinen kardinalen Fehler begangen hat. Er führte seine Solidarność im Kampf gegen die Regierenden in Polen, aber auch im Kampf mit ihr selbst, wenn sie die Revolution nicht selbst begrenzen wollte, er löschte Feuer, suchte nach Freiräumen, war kategorisch, aber auch elastisch. In diesem Prozess des Heranwachsens und Reifens begannen bei Wałęsa auch verschiedene persönliche Eigenschaften zutage zu treten, die sich mit der Zeit noch verstärkten. Ein im Grunde instrumentelles Verhältnis zu Menschen, auch den engsten Mitarbeitern, sowie leidenschaftliche Egozentrik und Hybris. (Henryk Wujec behauptet, schon 1979 habe Wałęsa einen seiner Kollegen gefragt, ob ein Präsident klein gewachsen sein könne? Man stelle sich vor: 1979!).

Die Untergrundggewerkschaft

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 umstellt ein Kordon der Miliz den Block Nr. 17 D in der Polanki-Str. im Stadtteil Zaspa (Saspe). Wałęsa verabschiedet sich von seiner schwangeren Frau. Er steigt in einen schwarzen Wolga, neben ihm sitzt ein Major der Miliz. Im Konvoi fahren sie zum Militärflugplatz. Von dort geht es nach Chylice bei Warschau, wo der Vorsitzende der Solidarność in der Isolation weich werden und den Bedingungen der Machthaber zustimmen soll. Aber angesichts seiner konsequenten Ablehnung jedweder Verhandlungen erhält er am 26. Januar den formellen Internierungsbescheid (datiert auf den 12. Dezember 1981). Die Begründung lautet: „der Verbleib des Bürgers (...) in Freiheit würde die Sicherheit des Staates und die öffentliche Ordnung gefährden, weil er Handlungen mit anarchisierenden Folgen für das Leben der Gesellschaft in der Wojewodschaft Danzig unternimmt". Wałęsa übermittelt der Nachricht nach draußen, dass er allein unter der Bedingung in Gespräche mit der Regierung einwilligen würde, dass die Berater und Mitglieder der Gewerkschaftsgremien an ihnen teilnehmen. (Am 21. Februar tauft Bischof Lech Kaczmarek die jüngste Tochter der Wałęsas - Maria Wiktoria; an der Feier nehmen etwa 20.000 Menschen teil).

Von Chylice wird Wałęsa in das Palais Bieliński bei Otwock verlegt (von dort stammen die bekannten Photos, auf denen Wałęsa angelt), von wo aus man ihn schließlich am 11. Mai 1982 mit dem Hubschrauber in die Ostbeskiden transportiert, in das berüchtigte [Erholungszentrum der Regierung] Arłamów. Nach außen dagegen wütet die Propaganda, lässt an Wałęsa kein gutes Haar, nichts wird ihm erspart, ebensowenig seiner Familie. Der SB prokuriert Schmähschriften und Verleumdungen unterschiedlicher Art, und der Sonderbeauftragte des Regimes, Stanisław Ciosek, zerreißt sich geradezu, damit sein Gesprächspartner irgendeinen Vorschlag der Regierung akzeptiert. Nichts da

Hier stellt sich wieder die Frage: Wenn die Kommunisten tatsächlich stichhaltiges Belastungsmaterial gegen Wałęsa in der Hand gehabt hätten, hätten sie dann nicht versucht, es zur Zermürbung und Kompromittierung des Revolutionsführers zu nutzen, gegen den sie soeben erst die Armee auf die Straßen zu schicken beschlossen hatten? Das muss damals doch für sie das Ziel Nr. 1 gewesen sein. Wenn es eine solche Erpressung nicht gab, war das Belastungsmaterial, für das heute als Symbol das Kryptonym Bolek steht, offenbar nicht allzu stichhaltig. Wenn es dagegen zu einer Erpressung kam, dann gebührt Wałęsa umso mehr Ehre, weil er - im Gefängnis und in der Isolation - nicht einknickte. Wałęsa rasierte sich den Schnurrbart ab, weil er seiner Frau Danuta damit nicht besonders gefiel, begann, gegen sein Übergewicht zu kämpfen, hörte leidenschaftlich Sendungen im eingeschmuggelten Radio und sprach mit Pater Alojzy Orszulik, der als Vertreter der Kirche einen mit den Behörden ausgehandelten Zugang zu ihm hatte.

Als er am 12. November aus der Internierung freikommt, verkünden die Machthaber, von nun an sei Lech Wałęsa nur noch eine Privatperson, allein schon deshalb, weil die Solidarność aufgelöst werde. Nur dass die Solidarność im Untergrund weiterbesteht: Schon im April 1982 beschlossen die vier Vorsitzenden der größten Regionen (Zbigniew Bujak, Władysław Frasyniuk, Bogdan Lis und Władysław Hardek) die Gründung des Vorläufigen Koordinierungsausschusses der NSZZ Solidarność, der als seinen Chef weiterhin Lech Wałęsa betrachtet, der 1983 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. Und so bleibt es bis zum Ende der 80er Jahre, sogar als der - außergewöhnlich scharf bewachte und bespitzelte - Vorsitzende seinen Vorsitz über Verbindungsleute ausüben musste und seine Politik bei den Radikalen auf Kritik stieß.

Im gesellschaftlichen Gedächtnis blieb vor allem das Bild der Solidarność und Wałęsas aus den Jahren 1980/81, dabei waren die folgenden acht Jahre ein unerhört schwieriger Weg voller Brüche und Schwenke, auch Zweifeln, den die Bewegung und ihr Anführer insgesamt überaus mutig und klug zurücklegten.

Wieder im Scheinwerferlicht

Am 30. November 1988 setzt sich fast ganz Polen vor die Fernseher. Um 20 Uhr beginnt eine Diskussion zwischen Alfred Miodowicz, dem Vorsitzenden des OPZZ, also der regierungstreuen Gewerkschaften, und Lech Wałęsa, nicht nur Chef der formal illegalen Solidarność, sondern auch Symbol der ganzen damaligen Opposition. Wałęsa beginnt: „Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich freue mich über unsere Begegnung. Ich danke jenen, die sieben Jahre lang nicht den Mut verloren haben" - und schon weiß man, dass es einen Knockout geben wird. Und den gab es. Miodowicz existiert praktisch nicht in der Diskussion: Die Zuschauer sehen sich ein Stück für einen Schauspieler an. Es war letztlich ein - unbestreitbar sehr wichtiges, aber kurzes - Streiflicht in einem außergewöhnlichen historischen Experiment, das Polen nun begann, nämlich die friedliche Abgabe der Macht durch die bankrotten Kommunisten an die bisherige Opposition, auch wenn anfangs wohl niemand ernstlich ein derartiges, in so raschem Tempo realisiertes Drehbuch vorhersah.

Am Runden Tisch saß die Opposition unter der Leitung von Wałęsa der Regierungsseite gegenüber, was sich sogar in der gewählten Organisationsformel ausdrückte. Im Dezember 1988 bildete sich nämlich das Bürgerkomitee beim Vorsitzenden der NSZZ Solidarność Lech Wałęsa, es waren seine Vertreter, die mehrere hitzige Monate lang mit den Machthabern über den Inhalt und die Form der Vereinbarung feilschten. Am Ende, oder eigentlich am Anfang eines weiteren großen Umbruchs kam der 4. Juni 1989, als die Polen an die Urnen gingen, um sich ihre Zukunft zu wählen, also die von Wałęsa empfohlenen Abgeordneten und Senatoren. Und wieder wurde - wie im August '80 - mit seinem Namen symbolisch die Große Wende signiert. Nur dass Lech Wałęsa jetzt schon eine bekannte Größe war und mit seiner Vergangenheit, die er gleichsam abschloss, die Richtung der von der gesellschaftlichen Bewegung akzeptierten Politik autorisierte und garantierte, dass er diesmal nicht verlieren, dass er die historische Chance nicht vergeuden wird. Man kann annehmen, dass ohne diese Legende und diese Autorität damals die Dinge anders verlaufen wären.

Natürlich war Lech Wałęsa in diesen Momenten des Umbruchs - obgleich aktiv, wachsam und unnachgiebig - nicht allein. Man kann sogar sagen, dass er von der alles erfassenden Energie getragen wurden und dass ihm ein Stab vieler herausragender Persönlichkeiten halb. Aber er enttäuschte wieder nicht.

In der Freiheit

Am 16. August 1989 ist als Aufmacher ein Photo in den Medien im Umlauf, auf dem Wałęsa die Führer der politischen Parteien an den Händen hält, die bisher Satelliten der Kommunisten waren. Das eröffnet den Weg zur Bildung einer neuen Koalition - und zur Verwirklichung der noch ein paar Tage zuvor schwer vorstellbaren Formel „Euer Präsident, unser Premierminister". Damit jedoch - mit Wałęsas Entscheidung - übernimmt die Solidarność auch die Verantwortung für die Lage im Land. Unterdessen ist die Wirtschaft durch eine galoppierende Inflation ruiniert, noch immer weiß man nicht, wie sich der neu gewählte Präsident, General Wojciech Jaruzelski, verhalten wird, im Land sind weiterhin sowjetische Truppen stationiert, und in den anderen Ländern des Warschauer Vertrags sind noch keine Revolutionen ausgebrochen.

Formal übernimmt Wałęsa keine Funktion im Staat. Es gibt für ihn keinen Platz, je mehr der 4. Juni in die Ferne rückt, desto weniger. Natürlich ist er noch immer der wichtigste Spieler, zumal die Kommunisten sich zurückziehen und ihre Welt vor den Augen zerfällt - übrigens unter der Last und nach dem Beispiel der polnischen Erfahrung. Aber man wusste nicht recht, was Wałęsa nun tun sollte. Der kreative Schwung reichte noch aus, um Tadeusz Mazowiecki zum Regierungschef zu ernennen, noch einmal das politische Karussell ordentlich anzukurbeln (schon unter aktiver Beteiligung der Brüder Kaczyński - Jarosław und Lech), aber die Topographie der Einflüsse und Kräfte veränderte sich unausweichlich zu seinen Ungunsten. Zumal die Entscheidungen sich in Richtung des Ministerpräsidenten, der von Anfang an selbständig war und nicht allzu sehr auf die Meinungen des Solidarność-Vorsitzenden Rücksicht nahm, verschoben und in der ganzen Solidarność-Bewegung zunehmend neue Ideen und Ambitionen, aber auch Brüche und Animositäten zum Vorschein kamen.

Aus Angst vor einer Marginalisierung, ungebrochenem Ehrgeiz (die Nachricht, dass Havel Präsident der Tschechoslowakei geworden war, vertrug er äußerst schlecht) und unter dem Einfluss von Jarosław Kaczyński entschied sich Wałęsa, an Stelle des scheidenden Jaruzelski polnischer Staatspräsident zu werden. Es war der Versuch, der merkwürdigen und unbequemen Lage, in der er sich befand, zu entkommen, und zugleich wohl einen alten Traum zu verwirklichen. Nur dass er auf Widerstand im eigenen Lager stieß: Diese Absicht war eine der wichtigsten Ursachen für eine verschärfte Polarisierung, geradezu für Kräche und Streitigkeiten, denn für viele sogar seiner glühendsten Bewunderer eignete er sich einfach nicht für das Amt des Staatsoberhaupts, des Ersten Beamten der Republik. Aus diesen Gründen trat - als Konkurrent von Lech Wałęsa - Tadeusz Mazowiecki zu den Wahlen an, dazu gezwungen von seinen politischen Freunden.

Der Präsident

Am 22. Dezember 1989 mittags legt Lech Wałęsa gegenüber der Nationalversammlung den Eid des Präsidenten der Republik Polen ab. In einer kurzen Antrittsrede bezeichnet Wałęsa den Tag seiner Vereidigung als Beginn der Dritten Republik. Er kündigt eine Beschleunigung und Verbesserung der Reformen an. Eignete er sich zum Präsidenten? Darauf gibt es keine gute Antwort, ebensowenig wie auf die Frage, was für ein Präsident er war. Man könnte einen umfangreichen Index sowohl der Pro- als auch der Contra-Argumente anfertigen. Die einen werden sich daran erinnern, dass Wałęsa die sowjetischen Truppen aus Polen hinausgeleitete, dass er uns konsequent nach Europa führte, dass er ein gutes Maß im Verhältnis zu den Nachbarn zu finden wusste, dass er die Regeln der Demokratie nie grundlegend überstrapazierte und dass er am 4. Juni 1992 die abenteuerliche Regierung von Jan Olszewski stürzte. Die anderen, dass er die Postkommunisten begünstigte, dass er den Prozess von Polens Durchstoß zur völligen Unabhängigkeit nicht beschleunigte und dass er die besonders edelmütige Regierung Olszewski stürzte. Wieder andere, dass er den ehemaligen Chauffeur Mieczysław Wachowski nach Belieben in der Umgebung des Präsidenten schalten und walten ließ, dass er in den Akten des Sicherheitsdienstes herumwühlte, dass er mit einer Axt und weiteren Beschleunigungen drohte. Vielen gefiel der Stil dieser recht saloppen und amateurhaften Amtsführung, aber auch die ungezügelte Sprache und die merkwürdigen Wortschöpfungen nicht. Die Negativa wogen schwerer, und den Kampf um die Wiederwahl verlor Lech Wałęsa - gegen Aleksander Kwaśniewski, einen politischen Ziehsohn von Wojciech Jaruzelski, was die Demütigung noch größer machte. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sich Wałęsa nach 1989 zurückgezogen und Polen anderen übergeben hätte. Wenn er seinen Kampf um die neue Republik beendet und sich diejenigen mit deren Verwaltung befasst hätten, die besser auf diese Aufgaben vorbereitet waren. Zum einen vermochte, wollte und konnte er das - seiner Meinung nach - nicht. Zum anderen werden wir nie wissen, welche neuen Umstände und welche neuen Politiken in dieser Welt ohne Wałęsa zum Vorschein gekommen wären. Schließlich fehlte es in vielen Kreisen der Solidarność nicht am Willen, „die Revolution zu Ende zu führen", den Runden Tisch umzustürzen und einen großen Skandal anzuzetteln.

Und das wohl größte Verdienst des Präsidenten Wałęsa war, dass Gedanken dieser Art ihm völlig fremd waren. Denn es kann auch so gewesen sein - was erst aus heutiger Perspektive ersichtlich wird -, dass das Stichwort Bolek Wałęsa damals bedrückte, weil man ihm signalisierte, dass es zu einem Instrument werden könnte, mit dessen Hilfe die damals nächste Umgebung des Präsidenten ihn manipulieren will. Mit anderen Worten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass nicht Moskau oder die sogenannte Seilschaft, wie die Brüder Kaczyński es heute wollen, damals Wałęsa steuern sollten, sondern sie selbst. Wenn es zu solchen Suggestionen gekommen sein sollte, dann hat Wałęsa - wieder zum Glück - einer solchen Lösung nicht zugestimmt.

Was jedoch das Wichtigste ist: In einem der heikelsten Momente der polnischen Transformation rückte Wałęsa nicht von den Reformen ab - auch nicht von den schwierigen, die ständig mit dem damals immer weniger populären Namen Leszek Balcerowicz' identifiziert wurden. Im Endeffekt bestätigte er, dass er der Präsident der III. Republik war

Der ehemalige Präsident

Und deshalb ist er bis heute der von der IV. Republik meistgehasste Politiker der III. Republik Polen. Diese Hassgefühle werden natürlich von dem persönlichen Groll der Brüder Kaczyński gespeist, die er einst von seinem Hof verjagte, wie viele andere vorher und nachher. Aber sie rühren auch daher, dass er sich insgesamt politisch nicht austricksen und ausnutzen ließ, dass er so unabhängig und „selbstverwaltet" war wie seine Gewerkschaft.

Im Laufe der mehr als zehn Jahre seines politischen Ruhestands hat Lech Wałęsa versucht, auf die Bühne zurückzukehren, bekanntlich ohne jeden Erfolg. Aber die normale, menschliche Sympathie der Polen für Wałęsa nimmt nicht aber, sondern wächst von Jahr zu Jahr. Sie wurde auch nach der Sensationsenthüllung von Historikern des IPN nicht schwächer. Das Gefühl ist recht verbreitet, dass ihn ein unverdientes Unrecht trifft, dass man, indem man Wałęsa beleidigt, eine der größten polnischen Legenden, eine der größten polnischen Siege mit Schmutz bewirft.

Lech Wałęsas Leben fügt sich zu einer Geschichte beinahe wie aus einem amerikanischen Film: Ein armer Junge aus der tiefen Provinz erwirbt sich nach einem Leben voller Wendungen und dramatischen Entscheidungen internationales Ansehen und Standing. Und es waren nicht Sławomir Cenckiewicz und Piotr Gontarczyk unter der Redaktion von Janusz Kurtyka, die das Drehbuch zu dieser Geschichte geschrieben haben.

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