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Wunder an der Weichsel

Im August 1920, auf der Schwelle zur Zweiten Republik, geschah das erste Wunder. Polen stoppte die bolschewistische Offensive und rettete Europa vor dem Export der Revolution. Das zweite Wunder fand 1989 statt. Die Polen gründeten die Dritte Republik und veränderten die Geschichte Europas.
Die Wendung „Wunder an der Weichsel" prägte der nationaldemokratische Schriftsteller Stanisław Stroński  gleich nach dem 15. August 1920, um auf diese Weise dem verhassten Piłsudski die Lorbeeren des Sieges zu entreißen. Nicht der Befehlshaber war demzufolge der Vater des Sieges, sondern Gott hatte der Nation die Kraft eingehaucht, sich trotz der Hilflosigkeit des Heerführers dem heroischen Kampf gegen die Sowjets zu stellen und den Sieg davonzutragen. Später gelang es der Propaganda des Piłsudski-Lagers, den Sinn dieser Wendung zu verändern - das Wunder geschah, weil die Muttergottes auf der Seite des Marschalls stand. Und diese Interpretation dominiert bis heute, wovon man sich an jedem Jahrestag der Schlacht bei Warschau überzeugen kann.

Dennoch dauerte der Streit, wer der Vater des Sieges war und welche Parteien und Formationen am meisten zur Entstehung der Zweiten Republik und ihrer Verteidigung beitrugen, viele Jahre an, und sein Echo ist auch heute noch zu hören. Ähnlich wie sich der Streit darüber hinzieht, ob der Runde Tisch ein Triumph der polnischen Politik war oder aber ein trivialer Verrat und der Beginn eines Klüngelsystems („układ"), das Polen nach 1989 zersetzte. Jede dieser konträren Deutungen suggeriert eine andere Beantwortung der Grundsatzfrage: Wer hat das historische Recht, Polen zu regieren?

Gemeinsam ist in diesen Streitereien jedoch die Überzeugung, dass die Polen sich 1918, 1920 und 70 Jahre später auf außergewöhnliche Art und Weise in die Weltgeschichte eingetragen haben, dass sie, auch wenn äußere Faktoren sie begünstigten, diese zu nutzen wussten und ganz bestimmt gezeigt haben, dass sie reif dazu sind, Verantwortung für den Lauf der Geschichte zu übernehmen. Das sagen sogar diejenigen, die meinen, dass später vieles (oder beinahe alles) verpatzt wurde.

Zwei Distanzen


Als der Staatspräsident im Exil, Ryszard Kaczorowski, dem in allgemeinen Wahlen gewählten Präsidenten der Dritten Republik, Lech Wałęsa, die Insignien der Zweiten überreichte, konnte man sagen, dass diese beiden Polen einander symbolisch die Hand reichten und dass die Dritte Republik eine unmittelbare Fortsetzung der Zweiten war. Die Zweite hörte nach 20 Jahren auf zu existieren, die Dritte ist gerade in ihr 20. Lebensjahr eingetreten. Das veranlasst zu historischen Vergleichen und wird es weiterhin tun.

Mut und Heroismus lassen sich zwar nicht vergleichen, da sie in direktem Verhältnis zur Größe der Herausforderungen stehen, dennoch wurde der Weg zur Unabhängigkeit 1918 und in den Jahren danach, als sie sich in tödlicher Gefahr befand, unter dramatischen Umständen zurückgelegt. Die Zweite Republik trat Ende des Ersten Weltkrieges auf der Bildfläche, als Europa eine neue politische Geographie auf den Trümmern der alten entwarf und die Revolution im Osten - im Gleichklang mit Revolutionsversuchen im Westen - ein großes soziales und politisches Experiment einleitete, mit einer Ideologie und Praxis, die sich binnen kurzem in eine der beiden verhängnisvollen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verwandelten.

Polen wurde während jenes Krieges ununterbrochen von durchziehenden Fronten geplagt, zerstört und geplündert, nicht nur Soldaten kamen um, sondern auch Zivilisten. Es genügt zu sagen, dass nach dem Krieg auf dem Gebiet der Zweiten Republik 27 Millionen Menschen lebten, drei Millionen weniger als vor ihm. Das Land war elend, ausgepowert und erschöpft. Und es lastete auf ihm auch die Erfahrung des Kampfes mehrerer Generationen um die Unabhängigkeit, der tragische Spuren hinterlassen hatte. Im Jahre 1918 waren die Bilder aus dem Januaraufstand  oder der Revolution von 1905 noch sehr lebendig, so wie wir heute unsere Erlebnisse der Jahre 1956, 1968, 1970 und 1981 nicht vergessen.

Die Unabhängigkeit kehrte damals nach mehr als 120 Jahren der Knechtschaft nach Polen zurück, 1989 nach 50 Jahren, wobei es nicht nur auf die Anzahl der Jahre ankommt, sondern auch darauf, dass die historische Distanz zwischen der Ersten und der Zweiten Republik qualitativ größer war als die zwischen der Zweiten und der Dritten. Nach 1918 war es nicht möglich, sich beim Aufbau des Staates auf die Tradition Polens vor 1795 zu berufen - außer mit der Symbolik natürlich -, nach 1989 dagegen sehr wohl auf die aus der Zeit vor 1939, viele juristische Regelungen und Denkweisen konnte man sich zunutze machen.

Auch 1989 waren wir erschöpft, befand sich das Land - gelinde gesagt - in keinem guten Zustand und erinnerten wir uns an die Leiden und die Niederträchtigkeiten der volkspolnischen Zeit; trotzdem war die Situation in keiner Weise mit der von 1918 vergleichbar. Wenn überhaupt, dann eher in der Politik, weil man an der Schwelle zur Dritten Republik mit Erfolg die Round-Table-Methode anwendete, also das Verhandeln und Argumentieren, so wie Roman Dmowski  es im Namen Polens in Versailles hervorragend verstanden hatte. Damals, als Piłsudski seine Pferde antrieb, in dem Versuch, mit ihrer Hilfe die polnische Ostgrenze zu zeichnen.

Wir hatten Anfang der 90er Jahre unsere eigenen Ängste, ob die Gestalt der Grenzen des Post-Jalta-Europa  auch wirklich nicht in Frage gestellt werden würde, zumal nach der Vereinigung Deutschlands, aber wie sich herausstellte, ist die territoriale Integrität Polens doch eine erhärtete Tatsache. Die damalige Integrität musste erkämpft werden, sie war kein vorgefundener und gegebener Zustand. Das Feilschen in Versailles, der Krieg im Osten, die Konflikte im Süden und mit Litauen, die Volksabstimmungen und die Schlesischen Aufstände, diplomatisch und streitbar - so tauchte die unabhängige Republik aus dem geographischen Raum auf, was sehr viel kostete. Das schlug sich auch auf die Beziehungen zu den Nachbarn nieder.

Insbesondere zu zweien, zu Deutschland und Russland, hatten doch diese beiden Staaten die sogenannte Ordnung von Versailles von Anfang an kritisiert und abgelehnt; und mit der Zeit entwickelten sie aggressive und immer machtvollere Imperialpolitiken, die schließlich am 17. September 1939  den Sargdeckel über der Zweiten Republik zuschlugen. 

Es wird sich schon finden


Während die Polen eine gesamtpolnische Kultur entwickelten und ihre nationale Gemeinschaft modernisierten, lebten sie in jedem der Teilungsgebiete nach anderer Façon, in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Ordnungen. Die Unterschiede waren tiefgreifend und sind bis heute erkennbar, nicht nur in der Architektur, auch in den Köpfen. Es gab andere Strategien des Unabhängigkeitskampfes, andere Strategien des irdischen Daseins, es hatten sich mittlerweile andere Gewohnheiten und Neigungen herausgebildet, auch Sympathien und Antipathien, was schon die Belletristik zeigt. Und wenn in der polnischen Geschichtserzählung die Kämpfe, Ideen und Träume der Polen vor allem aus dem russischen Teilungsgebiet im Mittelpunkt stehen (die nationalen Aufstände, Romantik und Positivismus, Piłsudski und Dmowski...), dann ist dieses Bild allzu vereinfacht. Zwar geben sie am vollständigsten und stärksten das Hauptdrama der fehlenden Unabhängigkeit wieder, doch sie verdecken viele andere Erfahrungen, Leistungen und Anstrengungen der in den beiden anderen Teilungsgebieten lebenden Polen.

Sie alle trafen in der Zweiten Republik aufeinander, machten sie stärker durch ihre Verschiedenartigkeit, aber zugleich auch schwächer. Denn ein Piłsudski, der im antirussischen Untergrund groß geworden, nach Sibirien verbannt worden war und zur Demokratie ein sozusagen unterschwellig misstrauisches Verhältnis hatte, konnte sich mit einem Daszyński oder einem Witos , die durch die galizische Schule der parlamentarischen Demokratie gegangen waren, eher schlecht als recht verständigen.

Ein Kind Volkspolens ist auch die gegenwärtige polnische Politik, schon deshalb, weil sie die aus jener Epoche stammende Spaltung in „wir" und „die da oben" sowie die damals zum Vorschein kommenden internen Gegensätze weitgehend aufrechterhält. Selbst wenn neue auftauchen, werden sie rasch in Konstrukte verpackt, die direkt aus Volkspolen stammen. Man kann das verstehen, weil es in den 70er und 80er Jahren nur eine Front gab, und auf Seiten der Gesellschaft unter dem Strich auch nur ein Programm: Unabhängigkeit und Demokratie wiederzuerlangen; dann würde sich schon irgendwie alles finden. Das ist natürlich eine Vereinfachung, aber zur Freiheit haben uns mit Sicherheit nicht zahlreiche Parteien und politische Strömungen geführt, sondern allein eine Bewegung - personifiziert durch Lech Wałęsa. 

Die Zyklen der Republik


1918 sah das ganz anders aus. Die Formationen, die sich damals bekämpften, hatten nicht nur eine langjährige eigene Geschichte herausragender und kampferprobter führender Persönlichkeiten, sondern auch klar umrissene Programme und Ideologien, Strategien und Taktiken. Es ging nicht nur um die Wiedererlangung der Unabhängigkeit, sondern auch darum, wie dieses neue Polen aussehen sollte. Die nationalen, nationalistischen und freiheitlichen Inhalte und Werte kollidierten oft mit den sozialen, und oft vermischten sie sich mit ihnen. Und interessanterweise blieb die Struktur dieser Gegensätze eigentlich über die gesamte Dauer der Zweiten Republik erhalten.

Die politische Geographie war transparent, von der extremen Linken über das Zentrum bis zur extremen Rechten. Und die programmatischen Designate bestimmten den Ort in dieser Geographie. Stefan Kieniewicz hatte Recht, als er in einem viel beachteten, 1978 in der „Polityka" veröffentlichten Text über die hundert Wege schrieb, die zur Unabhängigkeit führen.

Zu den regionalen Unterschieden gehörten die ökonomischen, die ihrerseits wiederum soziale Probleme erzeugten. Die Integration der drei Teile zu einem staatlichen Ganzen fiel in der Rechtspflege und in der Bürokratie, in der Armee und im Bildungswesen leichter, obwohl der Angleichungsprozess auf diesem Gebiet bis 1939 anhielt und nicht abgeschlossen war; erheblich schwieriger gestaltete sie sich jedoch in der Wirtschaft, die ungleichmäßig entwickelt und zudem durch die bis 1920 andauernden Kriegshandlungen zerstört war.

Später machte die Republik Zyklen der Krise und des Aufschwungs durch, wobei die Krisenjahre überwogen. Es wurde sehr viel erreicht, aber nach 20 Jahren konnte die Bilanz nicht anders als mittelmäßig ausfallen. Die Unterschiede zwischen dem ehemaligen preußischen Teilungsgebiet und den Provinzen im Osten und im Süden Polens waren auch weiterhin enorm, und das Elend der galizischen oder ostpolnischen Dörfer, wie überhaupt das Elend der unteren sozialen Schichten heute unfassbar erscheinen mag. Das begünstigte bereits an der Schwelle zur Zweiten Republik das Anwachsen revolutionärer Stimmungen, zumal das Beispiel aus dem Osten durchsickerte. Streiks, Rebellionen und Proteste der Unzufriedenen und Benachteiligten prägten die soziale und politische Landschaft Zwischenkriegspolens.

In dieser Hinsicht mag das Bild der Dritten Republik als geradezu idyllisch erscheinen, auch wenn manchmal versucht wird, es in schwarzen Farben zu malen. Es gab und gibt bei uns keinen Mangel an politischem Populismus, der viele messbare Erfolge zu verzeichnen hatte; doch zweifellos ist gerade die wirtschaftliche Bilanz des heutigen Polen ausgezeichnet, was offensichtlich ist, wenn man sich noch gut an den Lebensstandard seiner Bürger im Jahre 1989 erinnert. Die Reformer, allen voran Balcerowicz, starteten jedoch von einem anderen Plateau, und sie hatten eine andere Aufgabe: die wirtschaftliche Energie freizusetzen, die ideologische und systembedingte Fesseln zurückgehalten hatten. Vor 70 Jahren ging es zunächst darum, die auseinandergerissenen Teilstücke der Republik miteinander zu verbinden.

Die durch die Teilungszeit bedingten Unterschiede schlossen noch ein weiteres großes Problem ein, mit dem die Zweite Republik konfrontiert war, nämlich die Nationalitätenstruktur. Ein Drittel der Bürger Polens stellten die Minderheiten, die wachsende politische Aspirationen hatten, wie etwa die Ukrainer oder sogar die Weißrussen. Mit den Jahren wurde die deutsche Minderheit politisch aktiver, inspiriert und unterstützt vom Dritten Reich; die jüdische Minderheit bewahrte weitgehend ihre kulturelle Eigenständigkeit. Das waren nur die größten Minderheiten, denen gegenüber man versuchte, eine - insgesamt verfehlte - staatliche Politik zu finden, obgleich es auch Jahre später nicht leicht ist, sich gute Rezepte für die damaligen Probleme auszudenken. Diese objektive Last lag ständig auf dem polnischen Staat, und sie vergrößerte sich mit der Zeit, denn je näher der Ausbruch des neuen Weltkrieges rückte, desto stärker wurden die Nationalismen, an denen im Grunde ganz Europa krankte, vor allem Hitler-Deutschland. Auch die „Sanacja" vermied es Ende der 30er Jahre nicht, sich in diese Richtung zu entwickeln.

Nationalismen blühten vor allem da, wo es wirtschaftliche Krisen und Rückständigkeit gab, wo die Menschen nach Schuldigen und nach Fremden suchten. So war es auch im Falle Polens, wo viele Fremde in der unmittelbaren Umgebung lebten und manche von ihnen auch die Polen als Fremde und am eigenen Unglück Schuldige ansahen. Die Folgen waren mitunter tragisch.

Merkwürdigerweise erlebt die Dritte Republik, obwohl es nationale Minderheiten in ihr kaum gibt, ebenfalls von Zeit zu Zeit nationalistische Konvulsionen, als wollte sie unbedingt auch hierin an die Traditionen ihrer Vorgängerin anknüpfen, ausgerechnet an jene unrühmlichen. Es sind mehr Phantome, Stereotype und Einbildungen als reale Gründe, doch kommt es wohl deshalb dazu, weil wir es nach 1989 nicht verstanden haben, ehrlich mit der polnischen Mythologie und mit der Vergangenheitspolitik abzurechnen, die in den Zwischenkriegsjahren und in Volkspolen betrieben wurde. 

Die Dritte hatte es leichter


Vergleicht man diese beiden zwei Jahrzehnte dauernden Epochen miteinander, dann ist der grundlegende Unterschied zwischen ihnen leicht festzustellen. Nach 1918 bemühte sich Polen, zwischen Hammer und Amboss von Feinden umgeben, viele Jahre lang um seine Sicherheit in Europa, um seine Überlebenschancen, indem es in Frankreich und England antichambrierte und - da sich die Vereinigten Staaten damals hinter dem Atlantik versteckten - den schwachen Völkerbund für sich einzuspannen versuchte. Wie es dagegen heute aussieht, ist bekannt: NATO, Europäische Union, gute Beziehungen zu den Nachbarn, und ein Bündnis mit Amerika. Aus dem 20. Jahrhundert gingen wir in sicheren, gut geschnittenen Grenzen hervor, die so ungefährdet sind, dass wir heute gelassen auf sie verzichten können.

Und noch etwas: 1989 gab es ein Muster, einen im Westen bewährten Standard, den man übernehmen und anwenden konnte. 1918 dagegen wusste man nicht recht, was man übernehmen sollte, außer der allgemein akzeptierten und erwarteten Demokratie, die siegreich aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen war, aber - wie sich dann herausstellte - zu schwach war, um in den folgenden Jahrzehnten die antidemokratischen Prozesse und Kräfte aufzuhalten, und auch zu schwach, um sich in Polen zu behaupten. Und in dem Wunder von heute spiegelt sich als Memento das Wunder von 1918 wider. 

 
Der Artikel erschien in der Poliytka Nr.45/2008 vom 05.11.2008. Übersetzung Silke Lent.

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