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Eine Republik Der Solisten

Olga Tokarczuk ( Olga Tokarczuk ("Dom dzienny, dom nocny")
Nach 1989 sollte zumindest eine neue Blütezeit wie in Zwischenkriegspolen anbrechen, mit einem Feuerwerk von Meisterwerken und Stilen, einem neuen Schulz und einem neuen Gombrowicz. Es kam anders, was nicht schlimmer heißt.

„Der Umbruch von 1989, der in der polnischen Geschichte dieses Jahrhunderts eine so erschütternde Bedeutung hatte, blieb in der Literatur im Grunde genommen ohne ein Echo. Sowohl in dem Sinne, dass er von ihr nicht glaubwürdig dargestellt wurde, als auch in dem, dass keine frappierend neuen Formen, Themen, Ideen oder Sprachen des literarischen Schaffens aufkamen", sagte im Jahr 2000 Professor Janusz Sławiński.

Das Jahr 2009, in dem wir ein Resümee der letzten beiden Jahrzehnte ziehen, stellt keine gravierende politische Zäsur wie 1939, 1956, 1968 oder 1989 dar. Nicht selten lassen sich aus derartigen Resümees enttäuschte Hoffnungen heraushören. Ein derartiges Bedauern formulierte kürzlich Agnieszka Holland, als sie von den Künstlern im allgemeinen, nicht nur im Film sprach, die sich gegenüber der Wirklichkeit als ratlos erwiesen hätten: „Lässt sich heute irgendeine Form des Erzählens finden, bei der die Gegenwart nicht nur im Empfinden des Autors selbst zum Ausdruck kommt? Meiner Auffassung nach nicht. Der Hauptgrund dafür ist, dass wir die Wirklichkeit nicht begreifen (...). Wir sehen alles separat. (...) Alles ist privat, intim, esoterisch". Somit könnte man, 20 Jahre danach, der Literatur wieder eine Liste mit Beschwerden präsentieren, die vor allem darauf abzielte, dass sich keine unserer wichtigsten kollektiven Erfahrungen in ihr niedergeschlagen haben. Sehen wir uns stattdessen an, was in unseren zwei Jahrzehnten wirklich passiert ist.

Ironisch und privat

Zuerst erfolgte eine Zerstreuung der Sprachen und literarischen Hierarchien, also eine Atrophie der Zentrale, wie Janusz Sławiński es ausdrückte. Und das von Maria Janion verkündete Ende des mit der Unfreiheit verbundenen romantischen Paradigmas. In der Tat vermied es die Literatur, von der Gemeinschaft zu sprechen, sie mied den Patriotismus und den erhabenen Ton. Es dominierte eine ironische, spöttische und extrem private Haltung. „Seit langem hat es keine so günstige Atmosphäre mehr für junge Autoren gegeben", schrieb Jerzy Jarzębski zu Beginn der Dritten Republik.

Die Kritik kündigte eine Rückkehr des Romans an. Die Erwartungen waren von Anfang an enorm: Man wartete auf einen neuen „Vorfrühling" („Przedwiośnie"), ein Abbild der Eruption eines neuen Polens, und auf eine Darstellung der volkspolnischen Vergangenheit. Diese Hoffnungen rührten auch daher, dass die neunziger Jahre mit einem großen Fest der Literatur begannen: Zeitschriften kamen aus dem Untergrund hervor oder entstanden neu („Ex Libris", „bruLion" (Kladde), „Nowy Nurt" (Neue Strömung), „Czas Kultury" (Kulturzeit), die Literaturbeilagen zu Tages- und Wochenzeitungen), in denen in Form von weitschweifigen Essays über Literatur debattiert wurde. In allen Medien nahm die Literatur breiten Raum ein. Die Konjunktur hielt jedoch nicht lange an. Schon bald trat die so genannte unsichtbare Hand des Marktes in Aktion. Die Orte, an denen über Literatur geschrieben wurde, verschwanden allmählich, die Essays verwandelten sich in Notizen, Schritt für Schritt rückte die Literatur an den Rand des sogenannten öffentlichen Interesses.

Doch der Auftakt der neunziger Jahre war beeindruckend. Denken wir nur an den Beginn der Frauenwelle in der Literatur, also die aufsehenerregenden Debüts von Olga Tokarczuk, Manuela Gretkowska, Natasza Goerke, Izabella Filipiak oder Magdalena Tulli.

Wenn man die Weltliteratur beobachtete, wusste man in groben Zügen, dass emanzipatorische - feministische und homosexuelle - Motive auftauchen würden. Und so kam es auch. Ähnlich vorhersehbar war die Mode der Kriminalliteratur. Die polnischen Romane, die Anfang des 21. Jahrhunderts in Massen zu erscheinen begannen, behandeln - nicht anders als ihre westlichen Pendants - die Krimihandlung oft als Vorwand; wichtiger erscheint das interessante Portrait des Helden, eines Milieus, einer Stadt oder beispielsweise eines homosexuellen Untergrunds. Andererseits sind Krimis ein Weg, um über die Vergangenheit zu schreiben, sie rekonstruieren, wie bei Marek Krajewski, die multikulturelle Welt vor dem Krieg, die wir vermissen. Auch die neunziger Jahre begannen mit einer spezifisch polnischen, doch ebenfalls mit unserer Vergangenheit verbundenen Strömung.

Die Vermischung der Gattungen

In Paweł Huelles „Weiser Dawidek", der 1987 erschien, sah die Kritik den Auftakt zu einer neuen Epoche. Es war eine Geschichte über einen geheimnisvollen jüdischen Jungen und die Traumata der Vergangenheit, über die Kindheit und das einstige Danzig. Der Beginn der neunziger Jahre war reich an ähnlich nostalgischen Kindheitsbildern und -Mythen. Die polnische Literatur hatte immer gern die östlichen Grenzlandschaften (Kresy) beschrieben, nun aber begannen Bücher über die deutsche Vergangenheit zu erscheinen. Stefan Chwins „Tod in Danzig" („Hanemann"), Olga Tokarczuks „E.E." oder - bereits im folgenden Jahrzehnt - das Portrait des deutschen Breslau in Krajewskis Kriminalromanen. Auch die Beskiden von Andrzej Stasiuk  („Galizische Geschichten"/„Opowieści galicyjskie") tauchten auf der literarischen Landkarte auf oder das Teschener Schlesien von Jerzy Pilch, bei dem sich Nostalgie mit Groteske mischten. Ebenfalls ein nostalgisches Epos war Wiesław Myśliwskis  „Widnokrąg" (Horizont), der 1997 mit dem erstmals vergebenen Nike-Preis ausgezeichnet wurde.

Obgleich man eine große Rückkehr der Fiktion angekündigt hatte, waren spezifische, die Gattungen mischende „silvae rerum"  die wichtigen Bücher jener Zeit: Tokarczuks „Taghaus, Nachthaus" („Dom dzienny, dom nocny"), ein Roman über die Melancholie einer Zeugin des allgegenwärtigen Niedergangs, und Stasiuks „Die Welt hinter Dukla" („Dukla"), ein Traktat über das Licht und den Zerfall der Materie, waren beide von der Gegenwart weit entfernt. Deren Portraits begegneten wir am Ende des 20. Jahrhunderts nur selten, erst mit der Zeit tauchten sie vermehrt auf. Das Bild des Kapitalismus im Frühstadium fand sich beispielsweise in Eustachy Rylskis „Der Mann im Schatten" („Człowiek w cieniu") oder in Piotr Siemions „Picknick am Ende der Nacht" („Niskie Łąki" ). Zumeist tauchte er jedoch in überzeichneter Form auf, in Satiren wie Dawid Bieńkowskis „Nic"  (Nichts). Im Zuge der Festigung des Systems mehrten sich Romane mit antikapitalistischem und antikorporativem Impetus, darunter beispielsweise Slawomir Shutys  „Zwał" (Halde), der mit dem „Paszport"-Preis der „Polityka" ausgezeichnet wurde. Das Defizit an Gegenwart in der polnischen Literatur der neunziger Jahre wurde von Marcel Reich-Ranicki scharf kritisiert, der 2000 in seiner Fernsehsendung Tokarczuk, Tulli und Stasiuk besprach. Er warf ihnen Provinzialität und eine Rückkehr ins Mittelalter vor. Unterdessen hatten sie alle - Tulli, die die Mechanismen der Macht und der Ausgrenzung zeigt, der mitteleuropäische Stasiuk und Tokarczuk, die sich mit den Veränderungen der Identität beschäftigt - entgegen Reich-Ranickis Prophezeiungen großen Erfolg in Deutschland.

Der Masłowska-Sound

Wollte man auf einen Wendepunkt innerhalb der vergangenen beiden Jahrzehnte zeigen, dann wäre er das Jahr 2002, als Dorota Maślowskas „Schneeweiß und Russenrot" („Wojna polsko-ruska pod flagą biało-czerwoną") erschien, das literarische Phänomen der letzten Jahre. Es löste einen Wirbel aus, wie es ihn in Polen noch nicht gegeben hatte, und stieß die Konjunktur für die junge Literatur an. Masłowska hielt der Literatur und der Sprache einen Zerrspiegel entgegen und rückte damit den Gewohnheiten der Leser zu Leibe. Denn ihre Bücher ließen sich nicht einfach mittels der Identifikation mit den Protagonisten lesen. Dafür konnte man in deren Sprache volkspolnische Relikte, Jugendslang und den Neusprech von Fernsehen und Werbung ausmachen, die eine zornige und originelle Mischung bildeten. Masłowska provozierte die Leser dermaßen, dass sie nach wie vor die am liebsten attackierte Schriftstellerin ist und ein Teil der Öffentlichkeit in ihrem Erfolg unaufhörlich irgendeine Manipulation wittert. Und dennoch prägte sie einen später häufig nachgeahmten Schreibstil, denn „der Masłowska-Sound ist die Promo-Grundlage", wie Agnieszka Drotkiewicz einmal sagte. „Schneeweiß und Russenrot", das gerade verfilmt wurde, ist eine starke kritische Stimme gegen die Täuschungen, von denen die Wirklichkeit durchsetzt ist.

Neben „Schneeweiß und Russenrot" erschienen weitere wichtige Bücher junger Autoren: „Dreckskerl" („Gnój") von Wojciech Kuczok und „Lubiewo" von Michał Witkowski, der in einem weiteren, mit dem „Paszport" der „Polityka" ausgezeichneten Roman „Barbara Radziwiłłówna z Jaworzna-Szczakowej" (Barbara Radziwiłł aus Jaworzno-Szczakowa) die polnische Version eines kapitalistischen Self-Made Man darstellte. „Lubiewo", der abgelauschte Generalatlas der volkspolnischen Homosexuellenszene, vor allem aber „Schneeweiß und Russenrot" - diese Bücher brachten zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein gesundes Ferment in die Sprache ein.

Die Literatur der letzten zwanzig Jahre lässt sich allerdings nicht in Kategorien von Moden und Strömungen beschreiben, und zwar weil es vor allem eine Republik der Solisten war. Einige von ihnen schöpften aus unserer Geschichte, wie die Schriftsteller, die das Thema der Shoah wieder aufgriffen. Schon Anfang der achtziger Jahre entstanden wichtige Texte von Zeitzeugen, die die schwierigen polnisch-jüdischen Beziehungen schilderten. Später sind etwa die Bücher von Ida Fink, Henryk Grynberg, Zyta Rudzka oder Hanna Krall zu erwähnen. Es stellte sich heraus, dass die über ein halbes Jahrhundert zurückliegende Erfahrung in den folgenden Generationen in der Kunst spürbar wird.

Es tauchten auch Autoren auf, die ganz eigene, oft überraschende Herausforderungen angingen. So versetzte uns Eustachy Rylski in „Warunek"(Die Bedingung) in die Welt der polnischen leichten Reiter der Napoleonzeit zurück, doch nicht, um dem Leser die Geschichte näherzubringen, sondern um ein völlig modernes Duell zwischen den beiden Hauptfiguren auszufechten. Und bei Gelegenheit solche Begriffe wie Ehre, Vaterland und Patriotismus wiederzubeleben. Andererseits schuf Jacek Dukaj in dem tausendseitigen Roman „Lód" (Eis) eine alternative Version der Geschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts und damit den Nachweis erbracht, dass man auch heute noch im Stil des 19. Jahrhunderts schreiben und Leser von Fantasy und klassischen Romanen unter einen Hut bringen kann. Wenn wir die Reaktion der Öffentlichkeit auf „Koniec świata szwoleżerów" (Das Ende der Welt der leichten Reiter, 1972 ) von Marian Brandys mit der Rolle vergleichen, die Rylskis „Warunek" gespielt hat, sehen wir, dass unsere Erwartungen an die Literatur der vergangenen beiden Jahrzehnte übertrieben waren.

Normalität kostet


Nach 1989 hat sich weniger die Literatur selbst verändert, als ihre Rolle und Funktionsweise: das literarische Leben, der Verlagsmarkt, die Medien. Unsere Erwartungen an sie stammen noch aus einer anderen Epoche. Die Tatsache, dass die Kunst nicht die Welt darstellt, gibt in gewissem Sinne die neue Wirklichkeit, in der wie uns befinden, wieder: sie ist fließend, flirrend und lässt sich nicht als Ganzes erfassen. Eine solche Wirklichkeit ist eine Herausforderung für die Literatur. Mariusz Sieniewicz hat das so erklärt: „Anscheinend kann man die heutige Welt nicht realistisch beschreiben. Man muss im Alltag nach den Rissen und Chiffren suchen, die mehr über uns aussagen als eine rein realistische Beschreibung." Das gelingt natürlich mal mehr, mal weniger.

Aus einer Welt, in der man wusste, wer ein herausragender Schriftsteller ist und wie der literarische Kanon aussieht, sind wir in eine Welt eingetreten, in der Hierarchien nicht mehr klar definiert sind. Literaturpreise sprießen wie Pilze aus dem Boden - demnächst werden wir uns beklagen können, dass sie wie in Großbritannien die Literaturkritik schlichtweg ersetzen. Die Zeit, die nun angebrochen ist, hat Professor Marian Stala während einer Diskussion im „Salon der Polityka" als eine Zeit der Verleger bezeichnet. Da sie das Marketing und sämtliche Instrumente der Werbung in der Hand haben, sind sie es heute auch, die einem Buch ein langes Leben sichern können.

Die Explosion der Kulturzeitschriften vom Beginn der neunziger Jahre endete mit der Tabloidisierung der Kultur in den Medien. Aber heute gibt es die nächste Welle eines kulturellen Aufschwungs, nur im Internet. Beinahe jede Woche entstehen neue Zeitschriften, Portale und Webseiten über Literatur (erst jüngst die interessante Seite „dwutygodnik.pl").

In diesen zwanzig Jahren haben die Literatur und die Schriftsteller ihre privilegierte Stellung als moralische Autoritäten und Gurus verloren. Die Literatur reizt nicht mehr zu öffentlichen Auseinandersetzungen, und wenn sie schon einmal zum Thema wird, dann verwandelt sich die Diskussion oft in einen Austausch von Invektiven in Internetforen. All das scheint der Preis für die Normalität und die Realität des Marktes zu sein. Doch wie die letzten zwei Jahrzehnte gezeigt haben, kann die Literatur trotzdem noch immer eine Quelle völliger Überraschungen sein. In den sechziger Jahren hat Gombrowicz vorausgesagt, dass zwei bis drei Generationen vergehen werden, ehe auf den Trümmern einer selbstverliebten, anachronistischen Kultur schöne Blumen mit betörendem Duft gedeihen. Vorläufig befinden wir uns noch immer in der Übergangsphase. Und wir haben Zeit.

Der Artikel erschien in der Polityka Nr. 22/2009 vom 27.05.2009. Übersetzung Silke Lent

 

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