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Der Meister und Lügner

Pomnik Jerzego Grotowskiego w Opolu. Fot. Rodak/Wiki Pomnik Jerzego Grotowskiego w Opolu. Fot. Rodak/Wiki Rodak / Wikipedia
Ein Gespräch mit dem Theaterwissenschaftler und Grotowski-Forscher Professor Leszek Kolankiewicz.

Aneta Kyzioł: Das Grotowski-Jahr ist in vollem Gange. Es haben bereits wissenschaftliche Konferenzen in Polen, Italien, Frankreich und den Vereinigten Staaten sowie ein Treffen von Star-Regisseuren in Breslau beim Festival „Die Welt als Ort der Wahrheit" stattgefunden. Zugleich tauchen zehn Jahre nach Jerzy Grotowskis  Tod Fragen nach dem Stand der Forschungen über sein Werk auf.

Leszek Kolankiewicz: Jahrestage verlangen eher feierliche Messen ab als kritische Analysen, indessen ist Grotowskis Erbe reif dafür, neu diskutiert zu werden. Von verschiedenen Seiten gehen Signale ein, dass sich die Einstellung zu Grotowskis Werk und Person verändert. Bekanntlich haben wir zehn Jahre nach dem Tod des Künstlers einige Zentren, die sein Erbe hüten: in Polen das Jerzy-Grotowski-Institut in Breslau im ehemaligen Sitz des Theaters Laboratorium (das im Übrigen vor einem Vierteljahrhundert aufgelöst wurde) und in Italien, wo Grotowski die letzten zwölf Jahre seines Lebens verbrachte, das Centro di Lavoro di Jerzy Grotowski e Thomas Richards in Pontedera. Die erste Frage ist die nach den Quellen und dem Zugang zu ihnen. Und hier tauchen sofort Zweifel auf: Weshalb wurde Grotowskis archivalischer Nachlass statt nach Breslau ins französische Caen verbracht, wo sich darüber hinaus die Erben die Entscheidung darüber vorbehalten haben, wem sie Zugang zu ihm gewähren? Wer wird denn - aus Polen und sogar aus Italien - nach Caen fahren? Ging es um eine stärkere Reglementierung des Zugangs zu den Materialien und auf diese Weise der Kontrolle über die Rezeption?

Das Beispiel hat Grotowski selbst gegeben, der zu seinen Lebzeiten den Zugang zu seinem Werk restriktiv gehandhabt hat.

Diese Kontrolle resultierte wohl aus seinem Charakter, aus dem Bedürfnis, zu dominieren und die Dinge im Griff zu behalten. Es hing auch mit seinen gnostischen Neigungen zusammen. Im Innersten seiner Seele war Grotowski der Meinung, dass die Geschichte eine Abfolge von Inkarnationen des Bösen ist und dass wir nur dann irgendeinen Freiheitsraum erobern, wenn es uns gelingt, Herr über die Geschichte, zumindest über unsere persönliche, zu werden. Darüber hinaus verband sich bei Grotowski der Gnostiker mit dem Künstler - jemandem, der leicht einer Inflation des Ich unterliegt. Im Ergebnis behauptete er gegen Ende seines Lebens, über die Geschichte triumphiert zu haben. Um diesen Triumph vollständig zu machen, hat er nicht nur Aufzeichnungen seiner öffentlichen Auftritte untersagt, sondern er kontrollierte auch die Publikationen und Übersetzungen seiner Texte, sogar die Publikationen und Übersetzungen von Büchern, die von seinen Mitarbeitern geschrieben waren.

Er hütet seinen Nachlass und dessen Rezeption auch noch nach seinem Tod?

Grotowski hat sich selbst einen Meister ausgesucht- Konstantin Stanisławski (der damals nicht mehr lebte). Er hat sich auch selbst einen Schüler ausgesucht - Thomas Richards. Aber das bedeutete wohl, dass er ihm, indem er ihn zu seinem Erben machte, die Freiheit der Wahl nahm. Die Frage ist: Können Erben sich auflehnen, werden sie nicht zu Geiseln der Erbschaft? Die Auflehnung ist schließlich das Element der Kultur des Westens, das - zumindest seit der Zeit der Romantik, wenn nicht schon früher - ein wesentlicher Bestandteil der Kreativität ist. Ich gebe zu, dass ich mich in letzter Zeit in den Entscheidungen der Erben von Grotowski nicht mehr zurechtfinde. Der Dokumentarfilm über "Akcja" („Action") konnte bis vor kurzem einzig und allein in Anwesenheit entweder von Thomas Richards oder seines engsten Mitarbeiters Mario Biagini und nur einem namentlich eingeladenen, handverlesenen Personenkreis gezeigt werden, präsentiert mit einer Andacht, die einem religiösen Ritual angemessen wäre. Bei der Ausstellung „Perfomer" in der Warschauer Galerie Zachęta Ende Februar, Anfang März fielen unterdessen alle diese Restriktionen weg: Der Film wurde in einer Endlosschleife allen Besuchern vorgeführt, die während der Projektion hinein- und hinausgingen, Telefongespräche führten, mit den Türen knallten - es herrschte ein Betrieb dort wie auf einem U-Bahnhof. Mir kam es vor, als sei man von einem Extrem ins andere gefallen.

Weshalb geben die Erben Grotowskis Schriften nicht frei?

Als Biagini auf der Breslauer Konferenz im Januar beklagte, es mangele ihnen an Zeit und Kraft, sich mit diesem Teil von Grotowskis Nachlass zu befassen, kam der Gedanke auf, ein internationales Komitee zu gründen, das die Prinzipien für eine Edition von Grotowskis Schriften festlegen würde. Zunächst reagierte Biagini erfreut, um gleich darauf autoritativ zu erklären, dass die und die Texte herausgegeben werden müssten. Wozu dann also ein Komitee von Experten, wenn man doch von Vornherein schon alles weiß?

Von außen sieht es so aus, als befasse sich mit Grotowskis Werk immer wieder derselbe - meist mit seinen Weihen versehene - Personenkreis. Auch der Radius der erörterten Themen scheint konstant zu bleiben.

Grotowski hat beispielsweise eine Periodisierung seines künstlerischen Werdegangs vorgegeben, eine Einteilung in vier ex post unterschiedene Phasen, von denen die jeweils folgende eine logische und unvermeidliche Konsequenz der vorangegangenen ist. So etwas kommt in der Realität doch nicht vor. Wie jeder von uns kannte Grotowski seinen Weg nicht im Voraus, er war auf der Suche nach ihm und verirrte sich dabei auf verschiedenen Seitenpfaden. Aber diese - von den Historikern übernommene - Periodisierung ist gerade ein Ausdruck seines Sieges über die Geschichte. Was auch immer ihm zustieß - der Tod der Mutter, der Tod von Mitarbeitern -, ist ihm, so gesehen, deshalb zugestoßen, damit er sein Werk bereichern konnte. Und letzten Endes, damit er Thomas Richards sein geistiges Testament übergeben konnte. Ich würde gern eine Biographie von Grotowski lesen, in der Momente des Versagens und der Orientierungslosigkeit, des Leerlaufs und der Trauer nicht unterschlagen werden.

Ist es möglich, Grotowskis Werk in anderen als den von ihm selbst gewählten Kontexten - Joga, Gnosis, Indien, Haiti - zu interpretieren?

Bestimmt. Es wäre interessant, Grotowski mithilfe der Arbeiten von Denkern zu lesen, die in letzter Zeit in Polen sehr in Mode gekommen sind. Beispielsweise eine Interpretation seiner Werke im Sinne von Jacques Derrida oder Giorgio Agamben. Das könnte ein Pfad sein, der einen Forscher weit führen würde. Aber den werde ich nicht mehr verfolgen.

Den nicht, aber vielleicht einen anderen? Sie sind vor kurzem von Haiti zurückgekehrt.

Es ist lohnend, Grotowskis haitisches Abenteuer - ja, seine Faszination -zu zeigen. Irgendwann ab der Mitte der siebziger Jahre wurde Haiti zu einem sehr wichtigen Kontext seiner Arbeit, seit der Begegnung mit der Künstlergruppe Sen Solèy, mit deren Mitgliedern er während der nächsten Jahrzehnte zusammenarbeitete. Aus einem polnischen Legionär, einem napoleonischen Offizier namens Feliks Grotowski, der während der Niederschlagung des Aufstands schwarzer Sklaven in Santo Domingo Mut bewies, machte er einen seiner Vorfahren; und er schaffte es, sogar Historikern einzureden, dass dieser Offizier auf die Seite der Rebellen überwechselte. Doch diese Legende passte zu seiner Interpretation der haitischen Kultur. Und zu der Rolle, die die Polen - auch Anfang der achtziger Jahre - in der Geschichte Haitis spielten. In dem Buch „Tribù bianche perdute" („Lost White Tribes") schildert dessen Autor Riccardo Orizio ein Gespräch mit einem Einwohner von Casales, einem Vodou-Priester (wie es auf Haitianisch heißt), den ein gewisser „Jerzy Detopski" - es geht natürlich um Grotowski - 1980 mit nach Polen nahm. Dieser „Detopski" soll ein Geschäftsmann gewesen sein, der der Nomenklatura angehörte, jedoch von der Miliz unbemerkt als Solidarność-Sympathisant unter Mitwirkung dieses Priesters Vodou-Zeremonien organisierte - damit „die UdSSR weniger unüberwindlich wird". Diese Version unserer jüngsten Geschichte, aus der karibischen Perspektive betrachtet, ist faszinierend. Das zeigt, in welchem Grenzgebiet zwischen den Kulturen Grotowski gearbeitet hat.

Ist Grotowski in der Theorie und Praxis des internationalen Theaters nach wie vor präsent?

Mit Sicherheit wird er in Italien interessant und sehr tiefgründig rezipiert: Er hat dort nicht nur in der Theatergeschichte seinen festen Platz, die im übrigen viel weiter verstanden wird als bei uns, sondern man analysiert auch seine anthropologischen Überlegungen, die er im Zuge seiner Vorlesungen an der Universität La Sapienza in Rom formuliert hat. Die Franzosen sehen ihn nicht nur als illegitimen Sohn von Antonin Artaud, sondern interpretieren auch seine Vorlesungen am Collège de France als Vorlesungen eines mit Georges Gurdjieff vergleichbaren geistigen Meisters. In den Vereinigten Staaten hat Richard Schechner am meisten für die Rezeption von Grotowskis Werk getan; er zögert jedoch nicht, sich in Grundsatzstreite mit dem Meister zu begeben.

Vor zehn Jahren prophezeite Małgorzata Dziewulska, über die Bedeutung von Grotowskis Werk würden junge, nicht unmittelbar mit ihm verbundene Menschen entscheiden. Sie zeigen eine Aufzeichnung von Słowackis Adaption von Calderóns „Der standhafte Prinz" aufeinanderfolgenden Jahrgängen von Teilnehmern Ihrer Seminare zur Anthropologie des Theaters an der Universität Warschau und der Theaterakademie. Wie reagieren sie?

Junge Leute lehnen diesen Typ von Essentialismus, den wir im „standhaften Prinzen" sehen, ab. Mehr als Grotowskis Mystik interessiert sie die physische Seite der Arbeit seiner Schauspieler, die körperliche Dimension des „totalen Akts". Grotowskis Ideen finden keine Resonanz, als würde man heute nach etwas anderem suchen. Das Theater hat wohl eine andere Richtung eingeschlagen.

Das heißt, Ihrer Ansicht nach kann man heute nicht von Kontinuatoren der Experimente von Grotowski sprechen?

Man könnte versuchen, Ensembles in Gruppen einzuteilen, die an einzelne Phasen in Grotowskis Wirken anknüpfen: an das arme Theater, das Paratheater, an die Ritualstücke, aber in der Regel sind das eher entfernte Bezüge. Größeren Einfluss auf die Theaterarbeit scheint dagegen das legendäre Ensemble Gardzienice zu haben, das 1978 von dem abtrünnigen Grotowski-Schüler Włodzimierz Staniewski gegründet wurde. Dafür tauchte jüngst der Begriff „totaler Akt" wieder auf, der zur Beschreibung des Spiels von Schauspielern verwendet wird, die dem TR Warszawa verbunden sind, zum Beispiel bei der Rolle von Stanisława Celińska  in Krzysztof Warlikowskis  [Inszenierung von Sarah Kanes „Cleansed". Ich würde nicht wagen, Warlikowski als Kontinuator von Grotowskis Denken zu bezeichnen - ich sehe hier eher eine Verwandtschaft als eine Fortführung -, aber wenn ich mir seine Schauspiele ansehe, habe ich das Gefühl, dass bestimmte Ideen von Grotowski nicht spurlos verschwunden sind. Beiden Künstlern gemeinsam sind der Mut und die Hartnäckigkeit, mit der sie kollektive Mythen angreifen, das Streben nach einer Überschreitung der Grenzen des Theaters, die Sensibilität gegenüber der Heuchelei der Lebenswelt und der Kultur, das Lechzen nach menschlicher Wahrheit, die von den Menschen selbst im Raum des Theaters nur ungern ausgesprochen wird. Beide Künstler haben in ihren Ensembles die Position eines Gurus inne und verlangen den ihnen treu ergebenen Schauspielern mutige Arbeit ab, mit völliger körperlicher Hingabe - und Selbstaufopferung.

Und beide lösen enorme Kontroversen aus. Richard Schechner gab vor zehn Jahren seinem Essay über Grotowski den Titel „Chamäleon, Schamane, Lügner, Künstler, Meister", unterwegs kamen dann noch viele weitere, oft wenig positive Epitheta hinzu.

Nota bene enthielt die polnische Übersetzung eine Begriffsverfälschung: Schechner hat Grotowski nicht als Lügner, sondern als Trickser bezeichnet, oder anders gesagt - als Schelm: Das war eine Anknüpfung an eine große mythische Figur (die Paul Radin einmal analysiert hat). Schechner hat viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen bemerkt, jedoch vor allem in der Wirkung. Er schrieb, dass diese Wirkung, obwohl stark, schwer zu fassen sei. Und dass sie eine Geschichte sei, die offen sein müsse für viele unterschiedliche Interpretationen. Vielleicht werden wir also noch Zeugen, wie jetzt die Geschichte über Grotowski triumphiert.

 
Der Artikel erschien in der Polityka Nr. 26/2009 vom 24.06.2009. Übersetzung Silke Lent 

 
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