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Der neue Anstand

Rys. Mirosław Gryń Rys. Mirosław Gryń Mirosław Gryń / Polityka
Kann der Mensch ethisch sein, ohne an Gott zu glauben? Die Antwort, dass er es kann, scheint banal, aber nicht im Polen des 21. Jahrhunderts.

Das Monopol auf die Ethik hat bei uns die katholische Kirche und kaum jemand stellt das infrage. Wenn die Medien einen ethischen Kommentar brauchen, laden sie Geistliche ein und zwar beinahe immer nur katholische, als würden bei uns keine Christen anderer Konfessionen leben, Anhänger anderer Religionen und auch Menschen ohne Glauben. Es sei denn, das Thema betrifft eine konkrete Konfession, dann besteht die Chance, dass über eine, sagen wir mal, griechisch-orthodoxe Sache ein Griechisch-Orthodoxer spricht. Diese Tendenz zur Interpretationssegregation verarmt und verfälscht nicht nur unsere Diskussionen, sondern auch das geistige Bild Polens. Denn wenn im Fernsehen keine Vertreter anderer Gesichtspunkte auf ethische Fragen auftreten, verstärkt sich in der Gesellschaft der Eindruck, es gäbe nur eine richtige Ethik: die römisch-katholische. Dabei gibt es keinen rationalen Grund dafür, dass Nichtkatholiken beispielsweise zum Thema der In-Vitro-Fertilisation schweigen müssten. Es wäre erfrischender für das Diskussionsniveau, weil es bewusst machen würde, dass man Christ sein und trotzdem diese Behandlungsmethode unterstützen kann. Der derzeitige Zustand hat seine Wurzeln in der Volksrepublik. Die Kirche durfte damals in die staatlichen Medien nicht präsent sein, dafür verbreitete sie ihre Visionen von einer ethischen Gesellschaft außerhalb des offiziellen Umlaufs. Die öffentliche Propaganda der einzig richtigen sozialistischen Ethik bei gleichzeitigem Übergehen anderer Optionen, an der Spitze die christliche, hat den Begriff des ethischen Pluralismus aus unserem Land vertrieben.

In jeder Gesellschaft des westlichen Typs ist heute selbstverständlich, dass die Menschen, die sie bilden, verschiedenen Wertesystemen angehören.

Die Rolle des Staates beruht darauf, dass sie in der Öffentlichkeit mit den gleichen Rechten funktionieren können, vorausgesetzt, sie stören die Ordnung nicht. Zu solchen Störungen kommt es nicht allzu oft, denn mit Ausnahme von Extremisten sind die Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen und Weltansichten ebenso normale Menschen, die in Ruhe und Einvernehmen leben wollen. Im Übrigen haben die ethischen Systeme großer Religionen viele Gemeinsamkeiten. Problemlos können auch – wenn der gute Wille vorhanden ist – Gläubige und Ungläubige, Agnostiker und Atheisten miteinander arbeiten.

Aber dieses optimistische Szenario erfordert, dass besagter ethischer Pluralismus respektiert wird und dass die Gesellschaft in der Lage ist, in einer freien Debatte eine Haltung zu erarbeiten, die über die ideologischen und konfessionellen Differenzen hinaus annehmbar ist. Bei uns ist das noch ein Zukunftstraum. Wenn ein Bischof einen Abgeordneten anruft und ihm sagt, wie er in der In-vitro-Angelegenheit abstimmen soll, und man von 30.000 polnischen Schulen gerade mal in 300 statt des Religionsunterrichts den Ethikunterricht besuchen kann, haben wir ein grundsätzliches Problem auch mit den demokratischen Standards und mit der Idee einer offenen Gesellschaft, um die wir uns schließlich bemühen. In diesem Klima gedeiht nicht der Pluralismus, sondern das Monopol. Und die Kirche verwirklicht dieses Monopol auf die Ethik in den Schulen, Medien und der Politik, indem sie den Konformismus eines Großteils der politischen Klasse und der Gesellschaft ausnutzt. Ist das schlimm? Hat die Gesellschaft nicht nach den Jahrzehnten des staatlichen sozialistischen Monopols eine Reinigung gebraucht? Den Katholiken fällt es in Polen zuweilen schwer zu verstehen, dass jemand Vorbehalte gegen den aktuellen Zustand haben kann: Schließlich verkünde die Kirche eine Ethik, die wohl jeder unterschreiben könne. Aber das ist nicht der Fall, denn die katholische Ethik weicht in vielen wichtigen gesellschaftlichen Fragen selbst von den Ansichten vieler Katholiken ab, erst recht von anderen Wertesystemen. Monopole sind nie gut. Auch das Monopol des Atheismus ist nicht gut. Die im Westen derzeit moderne Bewegung der so genannten „neuen Atheisten“, die die radikale Entfernung der Religion aus der öffentlichen Sphäre verlangt, erzeugt innere Konflikte in der Gesellschaft und züchtet im Endeffekt einen neuen quasi-religiösen Fundamentalismus heran, der ebenso aggressiv und ausschließend ist. Religionskriege, auch wenn sie nur verbal geführt werden, sind zerstörerisch, weil beide Seiten eine negative gesellschaftliche Energie hervorrufen. Eine andere Sache ist, dass erklärten Atheisten in Polen das Leben schwer gemacht wird, zum Beispiel wenn sie Kinder im schulfähigen Alter haben, aber auch in ihrem eigenen beruflichen und öffentlichen Leben. Und nicht nur den Atheisten. Es genügt, dass jemand die Kirche verlässt. Das haben die ehemaligen Priester und Professoren Tomasz Węcławski (er trägt heute den Namen ‚Polak’) und Stanisław Obirek erfahren müssen. Dem ersten verweigert man die Leitung der Einrichtung, die er selbst an der Universität Posen aufgebaut hatte, dem zweiten macht man Seminare mit Studenten an einer Krakauer Privatschule unmöglich, die in keiner Weise mit der Kirche verbunden ist.

Das ehrliche Bekenntnis, dass man keiner Konfession angehört, erregt noch immer Empörung. 

Die Absicht atheistischer Kreise, eine Demonstration unter dem Motto „Moral ohne Glaube“ im päpstlichen Krakau zu veranstalten, wurde als Provokation ausgelegt. Die Gegner warfen den Organisatoren vor, sie seien ein Überbleibsel der Volksrepublik, die den Atheismus lanciert hat. Kein Wunder, dass sich die Atheisten diskriminiert fühlen und dagegen öffentlich demonstrieren wollen. Schließlich existiert in Polen eine lange und reiche Tradition laizistischer Gedanken, des Rationalismus und des Humanismus, der sich nicht auf religiöse Quellen bezieht: Tadeusz Kotarbiński, Władysław Tatarkiewicz, Maria und Stanisław Ossowski, Henryk Elzenberg und heute Helena Eilstein, Jacek Hołówka, Jan Woleński, Jan Hartman, Magdalena Środa. Nach dem Tod der Philosophin und Ethikerin Barbara Skarga [1919 - 2009, Anm. d. Red.] hat Adam Michnik in der „Gazeta Wyborcza“ an ihre Worte erinnert: „Ich bin davon überzeugt, dass es absolute, das heißt unanzweifelbare Werte gibt. Solche Werte sind mit Sicherheit die Wahrheit und das Gute. Ein Wert war immer auch der Mensch als Mensch, das heißt einer, der sich zu Werten nicht nur bekennt, sondern sie vor allem umzusetzen versucht.“ Professor Skarga ist in einem lutherischen Elternhaus aufgewachsen, doch sie war nicht gläubig. Sie ist ein großartiges Beispiel dafür, dass die Welt der Werte sich nicht auf den Katholizismus beschränkt, dass man unabhängig von der religiösen Doktrin denken, erleben und schaffen darf.

Den Menschen die Überzeugung einzutrichtern, dass man außerhalb von Kirche und Religion Relativist und Feind der wahren Werte sein muss, ist ein moralischer Skandal. 

Die Diskussion über das kürzliche Urteil des Kattowitzer Gerichts zugunsten von Alicja Tysiąc [Im Jahr 2000 wurde Tysiąc eine legale Abtreibung verweigert, obwohl das Risiko bekannt war, dass die zweifache Mutter nach einer weiteren Geburt ihr Augenlicht verlieren könnte. Geld für einen illegalen Abbruch hatte sie nicht. Nach der Geburt ihrer Tochter konnte nur eine Notoperation die sofortige Erblindung der Mutter verhindern. 2007 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der polnische Staat Alicja Tysiąc eine Entschädigung zahlen. Anm. d. Red.] zeigt die Absurdität, zu der das ethische Monopol der Kirche führen kann. Ein katholischer Priester [Marek Gancarczyk, Chefredakteur der katholischen Wochenzeitschrift ''Gość Niedzielny'', Anm. d. Red.] beleidigt Alicja Tysiącs Würde und schließt sie de facto aus der Gemeinschaft ethischer Menschen aus. Er wird dabei von Bischöfen und Publizisten unterstützt. Er agiert in dem Bewusstsein der Stärke der Institution, die der repräsentiert. Er versteht nicht, warum ihm das Gericht vorwirft, er würde die Sprache des Hasses sprechen. Er hält die Brandmarkung eines Menschen für die Erfüllung seiner Pflicht als Kaplan und Publizist. Andere verteidigen bei dieser Gelegenheit das Recht auf die Redefreiheit, das durch dieses Gerichtsurteil [Im September 2009 verurteilte das Gericht Gancarczyk zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Złoty, Anm. d. Red.] angeblich gefährdet werde. Dabei ist eine unbegründete Verleumdungskampagne kein Angriff auf die Redefreiheit, sondern Belästigung, und das Gericht weist die Medien zu Recht darauf hin, diese Dinge nicht zu vermischen. Vielleicht ist das Urteil im Fall Frau Tysiąc ein Signal dafür, dass die jüngere Generation der gebildeten Polen sich von der katholischen Dominanz befreit. Die erpresserische Behauptung, dass es ohne Gott – in der Praxis heißt das: ohne Kirche – keine gesunde moralische Gesellschaft und ethisch gesunde Menschen geben kann, verliert ihre Wirkung. 

Benedikt XVI. versuchte während seines Septemberbesuchs in Tschechien dieses stark laizistische Land zur Rückkehr zum Christentum zu bewegen. Dennoch wird sich dort wohl nicht viel ändern. Die Tschechen gehen nicht in die Kirche, ebenso wenig wie die Skandinavier, die Franzosen und die Briten, und sie sind dadurch nicht weniger glücklich als die massenhaft ihren Glauben praktizierenden Polen. Vielleicht sind sie sogar glücklicher, was man in jeder erstbesten tschechischen Bierkneipe sieht. Sie stehen nicht unter dem Druck einer im Volk verbreiteten Aggressivität und Frustration, wie die Polen, wenn sie jeden Sonntag die Kirchen füllen. Die Existenz tief säkularisierter und entwickelter Gesellschaften entlarvt die kirchliche Propaganda als Lüge. Schlechte Dinge gibt es dort ebenso viele, wie in traditionell religiösen Gesellschaften, und gute wahrscheinlich mehr, ziehen sie doch wie ein Magnet auch Immigranten aus der Welt „starker religiöser Werte“ an.

Die Prediger wiederholen immer gern, dass der Mensch eine schwere Sünde begeht, wenn er Gottes Stelle einnehmen will.

Es ist nicht klar, was das eigentlich bedeutet, denn für einen Ungläubigen ist das nur eine Phrase. Dank dessen, dass sich der Mensch ins Zentrum der Realität stellt, macht die Menschheit Fortschritte, da das ausgemachte Ziel der Menschheit ist, einen immer höheren Lebensstandard zu erreichen, auch einen immer höheren geistigen und moralischen Standard. Gott in das Zentrum zu stellen, hat dagegen in der Geschichte Krieg und Verfolgung erzeugt, wie oft wurde dieser Gott als ein Gegner anderer Götter verstanden und verlangte von seinen Anhängern absoluten Gehorsam. Einen solchen Gott ins Zentrum zu stellen ist eine ähnliche Sünde des Hochmutes und des Hasses, wie eine totale Doktrin ins Zentrum des Lebens zu stellen, womit sich die Nazis und die Stalinisten schuldig gemacht haben. Der Mensch kann sich als einen Teil einer Gemeinschaft fühlen und es ist gut, wenn er sich so sieht, aber er ist niemandes Eigentum, weder der Familie, der Nation, der Kirche, des Staates noch einer Partei. Diese Freiheit ist schwierig, aber gerade sie ist der Quell der menschlichen Würde. Wir haben inzwischen in Polen eine Generation, die sehr gut versteht, was die schöpferische Kraft der Freiheit bedeutet. Diese Menschen sind es, die sich gern an Aktionen und gesellschaftlichen Vereinigungen beteiligen, die sich gern als Freiwillige melden und sich ständig weiterbilden. Sie würden sicher die Worte von Professor Kotarbiński unterschreiben: „Dass Rechtschaffenheit, Mut und ein gutes Herz Respekt verdienen, aber Betrug, Verbreitung von Lügen aus Angst und Schikanierung von Schwächeren Verachtung verdienen, ist ebenso offensichtlich wie, dass Zucker süß ist und Salz salzig. Und dafür braucht es keine vom Menschen unabhängigen Beweise.“ So entsteht, nennen wir es einmal so, ein neuer Anstand: Ich will anderen nützlich sein, aber auch mein eigenes Glück suchen, so wie ich es verstehe. Ich wähle meine Autoritäten und meine ethischen Richtlinien selbst aus.

Diese neue gebildete Generation hat kein Problem mit der Frage, ob ein Glaubensloser moralisch sein kann.

Selbstverständlich kann er das, haben 79 Prozent dieser Schicht bei einer internationalen Untersuchung von Wertesystemen des amerikanischen Instituts Pew geantwortet. Im Moment ist das eine Minderheit, aber die Zeit – vor allem der schnelle zivilisatorische Fortschritt und die Leichtigkeit, mit der Ideen überschwappen können – arbeitet zu ihren Gunsten. Außerhalb dieses Vorpostens in Polen wie auch in den Ländern der Dritten Welt, dominiert die traditionelle Herangehensweise, die den Glauben an Gott (oder an eine religiöse Autorität) zur Voraussetzung eines guten, ethischen Lebens des Individuums und der Gesellschaft macht. Eine Ausnahme von der Regel, dass hoch entwickelte Gesellschaften dem Laizismus verfallen, sind die USA sowie die arabischen Länder, die von Erdöl leben. In Europa haben sich die Dinge anders entwickelt: Die kulturell und ökonomisch wichtigsten Gesellschaften haben ihren früheren theokratischen Charakter verloren. Man darf annehmen, dass Polen, wenn es nicht von einem neuen historischen Unglück heimgesucht und nicht durch wahnsinnige Regierungspolitiker vom Westen abgeschottet wird, sich noch deutlicher denjenigen Gesellschaften an schließen wird, in denen religiöse Menschen nicht benachteiligt werden, aber doch ein System laizistisch-rationaler Werte vorherrscht. Mit einem Wort, die Überzeugung, dass der Anstand keine ausschließliche Domäne der Gläubigen ist.

Der Text erschien in der Polityka Nr. 43 vom 21.10.2009 | Übersetzung Antje Ritter-Jasinska | Redaktion: Paul Gromnitza |

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