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Ron Chapple / PantherMedia
Fast alle Staaten leben heute von Krediten, und die meisten geben mehr aus, als sie einnehmen. Polen hatte Ende 2009 684,3 Mrd. öffentliche Schulden und ein Defizit des öffentlichen Finanzsektors von 95,7 Mrd.

Die Abteilung Öffentliche Schulden ist der einzige Flur im Finanzministerium mit Magnetkartenlesegeräten statt Türklinken. Das Sicherheitssystem registriert bei jedem Zimmer, wer hinein- und hinausgeht, die Mitarbeiter haben nur da, wo erforderlich Zutritt, und einen der Räume dürfen nur Auserwählte betreten. Die Abteilung Interbankenmarktinstrumente ist ein enges Zimmer mit drei Schreibtischen. Rechts ein veraltetes Bloomberg-Terminal, daneben ein einsamer Monitor mit Tastatur. Schwer zu glauben, dass letzten Montag an diesem Bildschirm für 794 Mio. Złoty Schatzwechsel verkauft wurden. Im ganzen Jahr leiht sich die Republik Polen über diesen Computer insgesamt 196 Mrd. Złoty – 111 Mrd. zur Refinanzierung von Altschulden und 85. Mrd. für den so genannten Nettokreditbedarf, darunter den wichtigsten, nämlich die Deckung des diesjährigen Haushaltsdefizits. In Warschau gibt es noch keinen rennenden Schuldenzähler, doch es lässt sich leicht errechnen, dass täglich neue Verbindlichkeiten in Höhe von 323 Mio. Złoty hinzukommen, 9,7 Mio. Złoty pro Stunde, jede Minute 161.000 Złoty.

Für jemanden, der tagtäglich diese Milliarden in Umlauf bringt, ist das allerdings eine ziemliche Vereinfachung. „Schulden entstehen dann, wenn sie aufgenommen werden”, korrigiert Piotr Marczak, der Direktor der Abteilung Öffentlichen Schulden. In seinem Büro gibt es keine Uhr, dafür hängen an den Wänden vier Kalender. Einen fünften holt Direktor Marczak während des Gesprächs hervor. „Der ist für Investoren. Darin ist jeder Tender vermerkt. Jeden Montag verkauft das Ministerium Schatzwechsel, also Papiere mit einem Rückkauftermin bis zu 52 Wochen. Jeden ersten Mittwoch im Monat bietet er zweijährige Schuldverschreibungen an, jeden dritten langfristige, also mit einer Laufzeit von 10, 20 und 30 Jahren. Am letzten Mittwoch des Monats gibt es keine Tender, denn das ist in der Regel der zweite Sitzungstag des Rats für Geldpolitik, und dessen Beschlüsse beeinflussen die Preisbestimmung von Schatzpapieren. Trotz der Staats-Bonitätskrise gibt es keinen Mangel an Abnehmern für polnische Schulden – während des letzten Tenders für Schatzwechsel am 31. Mai überstieg die Nachfrage das Angebot um das Dreifache.

Die gigantische Summe der öffentlichen Schulden sagt sogar Ökonomen nicht viel, deshalb werden die Staatsschulden meist dem Bruttoinlandsprodukt gegenübergestellt. So beläuft sich Polens Verschuldung heute auf 50,9% des BIP, also auf den Gegenwert der Hälfte der Güter, die unsere Volkswirtschaft im vergangenen Jahr produziert hat. Das klingt beunruhigend, liegt aber immer noch unter dem Durchschnitt der entwickelten Volkswirtschaften. Die Vereinigten Staaten schulden der Welt 83,2% ihres BIP, Frankreich 77,8% und Deutschland 73,2%. Am stärksten verschuldet ist in Europa Island (144,7 % des BIP), gefolgt von Italien (115,8 %) und Griechenland (115,1 %). Von den entwickelten Volkswirtschaften hat Japan die meisten Schulden angehäuft (220,1 % des BIP), und der am stärksten verschuldete Staat weltweit ist Zimbabwe (304,3 %). Polen nimmt auf der Liste der Schuldnerstaaten erst den 51. Platz ein. Unsere Schulden wachsen jedoch schnell, und wir zahlen nur die ältesten Verbindlichkeiten zurück – im März haben wir die letzte Rate von Giereks Schulden gegenüber dem Pariser Club beglichen.

Unter den entwickelten Volkswirtschaften gibt es heute keine, die nicht mit Krediten bis zum Hals lebte – Schulden haben sogar Luxemburg (14,5 % des BIP) und Hongkong (0,8 %). Fast alle Regierungen stehen in der Kreide – einen Haushaltsüberschuss hatten in Europa im letzten Jahr lediglich die Schweiz (0,7 % des BIP) und Norwegen (9,6%) , die meisten geben seit Jahren mehr aus, als sie an Steuern einnehmen. Die Koexistenz von Schulden und Defiziten allein ist noch nicht gefährlich. Bedrohlich wird die Situation, wenn bei einer hohen Verschuldung plötzlich ein Loch im Haushalt aufreißt, denn das bedeutet, dass die Steuereinnahmen des Staates im Verhältnis zu seinen Ausgaben gesunken sind. Eine solche Regierung erinnert an einen Kreditnehmer, der plötzlich die Arbeit verliert – die Einkünfte reichen nicht für den Unterhalt, von einer Rückzahlung von Verbindlichkeiten ganz zu schweigen. Deshalb droht jeder Verlust der Kontrolle über das Defizit mit einer Explosion der öffentlichen Schulden, und wenn letztere schon vorher hoch waren, entsteht das Risiko eines Liquiditätsverlusts, ja sogar der Zahlungsfähigkeit. Das erfahren derzeit Griechenland, Portugal und Spanien.

Seit es Staaten gibt, leiden sie unter Geldmangel, aber noch bis vor kurzem liehen sie es sich für einen konkreten Zweck von konkreten Menschen. So war es auch 1237, als der letzte lateinische Kaiser von Konstantinopel, Balduin II., Geld für eine Armee brauchte und Christi Dornenkrone bei venezianischen Kaufleuten versetzte. Schon damals praktizierte man den Handel mit Versicherungen. Ein Jahr später erwarb der für seine Frömmigkeit bekannte Ludwig IX. die Reliquie, und so gelangte sie nach Paris. Es ist auch vorgekommen, dass Herrscher Teile ihres Dominiums veräußerten, um leere Schatzkammern wieder zu füllen. Die USA wären nicht zur Großmacht aufgestiegen, wenn ihnen Napoleon 1803 nicht Louisiana verkauft hätte, um seine Kriege in Europa zu finanzieren und die Briten in Amerika zu binden. Die chronischen Liquiditätsprobleme von Regierungen wurden erst durch die Entstehung der Kapitalmärkte gelöst. Nach den Aktien, also Anteilen an Firmen, begann man auch mit deren Obligationen, also Schulden zu handeln. Und von da war es nur noch ein Schritt zur Emission von Schatzpapieren durch Regierungen. Zunächst noch für große Investitionen, mit der Zeit dann für alles.

Polen macht jeden Mittwoch Schulden. Am Montag vor jeder Auktion veröffentlicht das Finanzministerium das Angebot, also die Menge an Schulden, die es verkaufen möchte. Kaufen können sie ausgewählte Banken, die auf dem Wettbewerbsweg den Status eines Händlers von staatlichen Wertpapieren errangen – dieses Jahr sind es 12, darunter 9 inländische und 3 ausländische. Die Händler reichen Angebote mit einem konkreten Kaufpreis bei der Polnischen Nationalbank  ein, die sie mittwochs um 11 Uhr über eine Sonderleitung dem Finanzministerium übermittelt. Die Liste mit den kodierten Namen der Bieter erscheint auf dem Bildschirm der Abteilung Interbankenmarktinstrumente, von wo aus ein Ausdruck einer besonderen Arbeitsgruppe zur Beratung vorgelegt wird, die entscheidet, welche Gebote angenommen und welche abgelehnt werden sollen. Die Entscheidung wird in den Computer eingegeben und an die Banken versandt, und das Ergebnis des Tenders den Nachrichtenagenturen übermittelt. Das Landeswertpapierdepot verbucht die verkauften Obligationen im Register des Erwerbers, und die so geliehenen Gelder gelangen auf das Guthaben des Finanzministeriums bei der Nationalbank, also auf das Konto der polnischen Regierung.

2009 betrugen die Kosten des polnischen Schuldendienstes 5,3%, zehnjährige Obligationen rentierten im selben Jahr im Durchschnitt mit 5,87%. Zum Vergleich: Deutschland zahlt für vergleichbare Papiere 2,1%, Griechenland 12%. Die polnischen Schulden sind zu 73% in Złoty denominiert, weswegen sie weder einem Wechselkursrisiko noch den Stimmungsschwankungen von Investoren am anderen Ende der Welt ausgesetzt sind. Nach einem ähnlichen Prinzip lebt Japan mit Schulden, die sein BIP um das Zweifache übersteigen: Die meisten Obligationen kaufen die Japaner selbst, die statt zu konsumieren, obsessiv sparen. Wirtschaftsnationalisten wird die Nachricht beruhigen, dass unsere Schulden mehrheitlich in polnischen Händen bleiben: 49,1 % der Schatzanweisungen und -wechsel gehören offenen Rentenfonds, Investmentfonds und Versicherungen, 31,1 % Geschäftsbanken und nur 19,8 % ausländischen Investoren. Doch das Finanzministerium leiht sich auch Geld in Fremdwährungen und auf ausländischen Märkten – beispielsweise sind wir der größte Emittent aus Mitteleuropa an der Börse in Tokio.

 

 

Da es Regierungen wesentlich leichter fällt, Anleihen aufzunehmen als sie zurückzuzahlen, emittieren sie neue Obligationen hauptsächlich deshalb, um Kapital für den Rückkauf von alten aufzutreiben. „Wenn wir die Altschulden nicht rollen, kauft niemand die neuen“, sagt Piotr Marczak. Ein wichtiger Indikator ist daher neben der Verzinsung die Fälligkeit der Schulden, also die durchschnittliche Zeit, die bis zur Rückzahlung sämtlicher bisher verkaufter Obligationen bleibt. Im Falle Polens beträgt sie 5,4 Jahre, im Falle Großbritanniens 14. Kurzläufer sind niedriger verzinst, aber riskanter, weil sie öfter gerollt werden müssen. Wenn das in eine Krisenzeit fällt, können die Abnehmer der neuen Tranche einen höheren Zinssatz fordern, wovon sich Griechenland gerade schmerzlich überzeugen konnte. Sicherer sind langfristige Schulden, aber die Kosten für ihre Bedienung liegen höher. Außerdem ist nicht jeder in der Lage, sie zu verkaufen. Die Briten emittieren 50-jährige Obligationen, die den Polen wohl niemand abnehmen würde.

Regierungen, und nicht Korporationen sind heute die größten Spieler auf den Kapitalmärkten. Der Gesamtwert der öffentlichen Schulden (46 Bill. Dollar) ist mit der Kapitalisierung der internationalen Börsen (49 Bill. Dollar) vergleichbar, wobei auf 132 notierte Staaten Zehntausende Unternehmen entfallen und die Hälfte der öffentlichen Schulden weltweit Verbindlichkeiten der USA und Japans sind. Diese Explosion der öffentlichen Schulden begann vor 30 Jahren. Wenn erst die Entstehung eines Markts für Schatzpapiere es Regierungen überhaupt ermöglicht hat, Investitionen und Systeme in großem Umfang zu finanzieren, dann brachte die Liberalisierung der achtziger Jahre den Staaten den Zugang zu billigerem und anonymem Kapital. Diese Verfügbarkeit von Geld in Verbindung mit der Abneigung gegen eine Begrenzung der Ausgaben trieb die entwickelten Staaten ins gewohnheitsmäßige Leben auf Kredit. Sie bemerkten nicht, dass auch ein Risiko in sich birgt, die öffentlichen Schulden den Gesetzen des freien Markts zu unterwerfen. Dieselben Investoren, die in Zeiten der Prosperität Kapital in rauhen Mengen bereitgestellt haben, können in einer Krise plötzlich die Finanzierung einschränken. Zudem nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Märkte Regierungen wegen ihres Haushaltens ebenso streng zur Rechenschaft ziehen werden wie Korporationen.

Die Zahlungsfähigkeit von Staaten bewerten so genannte Rating-Agenturen. International kommt es auf drei an: Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch. Ihre Hauptaufgabe ist die Analyse der Kreditwürdigkeit von Firmen. Die Ratings von Staaten betreiben sie in größerem Maßstab erst seit den achtziger Jahren. „Wir bewerten Tausende von Banken und etwas über hundert Regierungen. Aber die Ratings von Staaten bringen uns Prestige“, sagt Kenneth Orchard, einer der Vizepräsidenten der Agentur Moody’s. In der Klassifikation von Standard & Poor’s ist die Bestnote AAA – dieses Rating haben zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Die Schulden dieser Staaten finden immer Abnehmer, sie können auch mit der niedrigsten Verzinsung rechnen. Die nächsten Noten AA, A, dann BBB, BB und so weiter bis zum Buchstaben D. Die Analysten sehen nicht nur auf ökonomische Kennzahlen und Perspektiven. Sie berücksichtigen auch die politische Stabilität oder die Reformfähigkeit. Polen hat seit 2007 die Note A-, einen Platz niedriger als Tschechien (A), aber drei Stufen besser als Ungarn (BBB-).

Regierungen achten sehr auf ihre Ratings, denn jede Herunterstufung macht es schwieriger, die Schulden zu rollen. So war es bei Griechenland, dessen Staatsanleihen im Dezember 2009 als erste in der Eurozone aus der Klasse A nach B abrutschten und im April den sogenannten „Junk“-Status (BB+) erreichten. Die erste Senkung des Ratings von Griechenland setzte eine Kaskade derartiger Maßnahmen seitens der übrigen Agenturen in Gang, und darauf folgte ein sprunghafter Anstieg der Verzinsung der griechischen Schulden und Sorgen um die Zahlungsfähigkeit des Landes.

Wegen der gemeinsamen Währung übertrugen sich die Währungsturbulenzen auf Portugal und Spanien, aber auch auf französische und deutsche Banken, die größten Gläubiger Griechenlands. Ein Rettungspaket beruhigte zwar die Wogen um die iberischen Länder, verstärkte jedoch Befürchtungen für die wirtschaftliche Zukunft von Euroland. Denn wenn die zugesagten intergouvernementalen Darlehen in Anspruch genommen werden sollten, stiege die Verschuldung der Eurozone übermäßig und gefährdete auch die Liquidität von Staaten, die von der Griechenlandkrise nicht berührt sind.

Aus der Schuldenspirale kommt man mit zwei Schritten heraus. Zuerst muss das Defizit reduziert werden, denn das bläht die Schulden auf. Deshalb stürzte sich ganz Europa, gleich nachdem es den Rettungsschirm über die gemeinsame Währung aufgespannt hatte, auch auf Ausgabenkürzungen, weil man die Märkte davon überzeugen wollte, dass man mit Bedacht haushalten kann. Die Deutschen verkündeten einen Fünfjahresplan, mit dem sie jährlich 10 Mrd. Euro (40 Mrd. Złoty) einsparen wollen, die neue britische Regierung begann mit Kürzungen des aktuellen Haushalts um 6 Mrd. Pfund (30 Mrd. Złoty), die Italiener wollen innerhalb von zwei Jahren 24 Mrd. Euro (96 Mrd. Złoty) einsparen und die Spanier 15 Mrd. (60 Mrd. Złoty).

Kürzungen sind auch in Polen unvermeidlich. Die öffentlichen Schulden haben den Euroland-Durchschnitt (78,7 % des BIP) zwar noch nicht erreicht, aber sie sind im vergangenen Jahr um 12 Prozent gestiegen. Das geschah sogar ohne große Konjunkturförderungs- und Bankenrettungsprogramme, die die entwickelten Volkswirtschaften in die Bredouille gebracht haben –der Rückgang der Steuereinnahmen infolge der globalen Rezession hat ganz einfach ein strukturelles Ungleichgewicht des polnischen Haushalts an den Tag gebracht.

Wenn ein Staat das Schuldenwachstum erst in den Griff bekommen hat, kann er sich an die Rückzahlung machen. In der Praxis werden alte Staatsanleihen zurückgekauft, ohne dass neue emittiert werden. Doch um das tun zu können, braucht man einen Haushaltsüberschuss und muss der Versuchung widerstehen, ihn für etwas anderes als die Rückzahlung von Schulden zu verwenden. In dieser Hinsicht vertrauen die europäischen Regierungen einander nicht mehr. Deshalb möchten einige Staaten, so wie Polen, die Höchstgrenzen für zulässige Schulden in die Verfassung aufnehmen. Fiskalische Disziplin verlangt auch Brüssel, während es zu einer Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts aufruft. Der Vertrag, der die Mitglieder der Währungsunion dazu verpflichtet, das Haushaltsdefizit unter 3 Prozent und den Schuldenstand unter 60 Prozent des BIP zu halten, ist heute totes Recht. Im vergangenen Jahrzehnt haben schon alle außer Finnland und Luxemburg die Defizitbeschränkungen gebrochen. Griechenland neun Mal, Italien sechs Mal, Frankreich, Deutschland und Portugal je fünf Mal, Österreich, Irland und Spanien je zwei Mal und Belgien ein Mal. Berlin und Paris, die vor einigen Jahren den Pakt eigenhändig demontierten, fordern heute Sanktionen für Verschwender.

 

 

Die Gegner des großen Sparens schlagen Alarm, so heftige Kürzungen der öffentlichen Ausgaben würden Europa in eine neue Rezession treiben. Aber beim derzeitigen Stand der Verschuldung kann die alte EU ohnehin nicht mit Wachstum rechnen. Laut Prof. Kenneth Rogoff, einem Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard University, ist in der globalen Wirtschaft das wahre Maß für die Zahlungsfähigkeit von Staaten die Summe ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Diese Zahlen zeigen Europas krankhafte Kreditabhängigkeit am besten: Die britische Bruttoauslandsverschuldung betrug im letzten Jahr nicht weniger als 408 % des BIP, die französische 248%, die deutsche 182,5 % und die irische sogar 1312 %. Zum Vergleich: Amerika als Ganzes schuldet der Welt 96,5 % des BIP, Japan gerade einmal 40,3 % und Polen schon 59,2 %. Nach Rogoffs Berechnungen ist für sich entwickelnde Volkswirtschaften eine Bruttoauslandsverschuldung bis zu einer Höhe von 60 % des BIP nicht wachstumsschädlich. Nach Erreichen dieser Schwelle frisst sie dann rund 2 % Wachstum jährlich, und nach Überschreiten von 90 % beschneidet sie es sogar um die Hälfte.

Dass Staaten Schwierigkeiten damit haben, ihre Schulden zu begleichen, ist keineswegs selten. Die Griechen sind schon im 4. Jahrhundert vor Christi bankrott gegangen, als 10 der 13 attischen Stadtstaaten die Rückzahlung von Verbindlichkeiten gegenüber dem Tempel in Delos verweigerten. Im 16. und 17. Jahrhundert erklärten sich Frankreich, Spanien, Portugal und Preußen für zahlungsunfähig, einige sogar mehrmals, und im Europa des 19. Jahrhunderts waren Krisen vor dem Hintergrund von Schuldenrückzahlungen beinahe eine Alltäglichkeit. In den Jahren 1826-30 ging beinahe ganz Südamerika pleite, und die nächste Plage der Zahlungsunfähigkeit brachte in den Industrieländern die Weltwirtschaftskrise. Staaten lehnten die Rückzahlung ihrer Schulden nach Kriegen und Revolutionen ab, wenn sie ganz einfach kein Geld hatten, oder nach einem Wechsel des Systems, um ihre Verachtung gegenüber den früheren Gläubigern zu demonstrieren (wie die Tschechoslowakei 1952). Seit 1998 zählte Moody’s 13 Fälle von Staaten, die Schwierigkeiten hatten, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Der Reihe nach waren dies: Venezuela, Russland, die Ukraine, Pakistan, Ecuador, die Ukraine, Peru, Argentinien, Moldawien, Uruguay, die Dominikanische Republik, Belize und Ecuador. Die beiden letzteren 2008.

Regierungen unterliegen den Gesetzen des Marktes, aber sie gehen nicht so bankrott wie Korporationen: Man kann einen Staat nicht wegen seiner Schulden übernehmen oder sein Vermögen versteigern. Deshalb endet die Zahlungsunfähigkeit in der Regel auch mit einer Umschuldung, also einem Aufschub des Datums für die Rückzahlung der Anleihen, schlimmstenfalls mit der Abschreibung eines Teils des geliehenen Kapitals. Im vergangenen Jahrhundert hatte Polen zweimal Schwierigkeiten, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen: 1936 und 1981. Eine der zu wenig gewürdigten Leistungen des Balcerowicz-Plans war die Neuverhandlung der volkspolnischen Schulden, ohne die die Dritte Polnische Republik  mit dem Makel des Bankrotts geboren worden wäre. Wie gefährlich dessen Konsequenzen sein können, zeigt der Bankrott Argentiniens 2001. Die meisten Gläubiger willigten in den Verlust von 65 % des Kapitals ein, der Rest lehnte diese Bedingungen jedoch ab. Infolgedessen kann die Regierung in Buenos Aires seit acht Jahren keine Anleihen mehr auf den Märkten im Ausland begeben, weil die ehemaligen Gläubiger damit drohen, die aufgenommenen Gelder als Anrechnung auf die argentinischen Verbindlichkeiten beschlagnahmen zu lassen.

Entwickelten Volkswirtschaften droht ein Bankrott eher nicht. Trotz der anschwellenden Schulden sind Staatsanleihen immer noch sicherere Anlagen als Schuldverschreibungen von Banken oder Korporationen, und westliche Regierungen bleiben die zuverlässigsten Schuldner in der Welt. Die Liquiditätskrise der Staaten wirft jedoch eine grundsätzliche Frage auf: Wie beabsichtigen die entwickelten Volkswirtschaften, die Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten zu verdienen? Eine Antwort darauf bleiben sie schuldig, und als Wendepunkt muss die Tatsache reichen, dass die Nachsicht gegenüber einer unverantwortlichen Haushaltspolitik und der Glaube, dass es auf der Welt Regierungen gibt, die immer zu einem niedrigen Zinssatz Geld aufnehmen können, geschwunden sind.

Wirtschaftsexperten sagen, dass es in einigen Jahren möglicherweise keine Staaten mehr geben wird, die ein AAA Rating verdienen, und die Politiker haben endlich begriffen, dass sie entgegen den Wünschen ihrer Bürger sparen müssen. Man kann nicht immer auf Pump leben, und Kredite müssen zurückgezahlt werden. Das gilt auch für Polen.

Der Text erschien in der Polityka Nr. 24 vom 9.6.2010. Übersetzung: Silke Lent | Redaktion: Paul-Richard Gromnitza |

 

Die Abteilung Öffentliche Schulden ist der einzige Flur im Finanzministerium mit Magnetkartenlesegeräten statt Türklinken. Das Sicherheitssystem registriert bei jedem Zimmer, wer hinein- und hinausgeht, die Mitarbeiter haben nur da, wo erforderlich Zutritt, und einen der Räume dürfen nur Auserwählte betreten. Die Abteilung Interbankenmarktinstrumente ist ein enges Zimmer mit drei Schreibtischen. Rechts ein veraltetes Bloomberg-Terminal, daneben ein einsamer Monitor mit Tastatur. Schwer zu glauben, dass letzten Montag an diesem Bildschirm für 794 Mio. Złoty Schatzwechsel verkauft wurden. Im ganzen Jahr leiht sich die Republik Polen über diesen Computer insgesamt 196 Mrd. Złoty – 111 Mrd. zur Refinanzierung von Altschulden und 85. Mrd. für den so genannten Nettokreditbedarf, darunter den wichtigsten, nämlich die Deckung des diesjährigen Haushaltsdefizits. In Warschau gibt es noch keinen rennenden Schuldenzähler, doch es lässt sich leicht errechnen, dass täglich neue Verbindlichkeiten in Höhe von 323 Mio. Złoty hinzukommen, 9,7 Mio. Złoty pro Stunde, jede Minute 161.000 Złoty.

Für jemanden, der tagtäglich diese Milliarden in Umlauf bringt, ist das allerdings eine ziemliche Vereinfachung. „Schulden entstehen dann, wenn sie aufgenommen werden”, korrigiert Piotr Marczak, der Direktor der Abteilung Öffentlichen Schulden. In seinem Büro gibt es keine Uhr, dafür hängen an den Wänden vier Kalender. Einen fünften holt Direktor Marczak während des Gesprächs hervor. „Der ist für Investoren. Darin ist jeder Tender vermerkt. Jeden Montag verkauft das Ministerium Schatzwechsel, also Papiere mit einem Rückkauftermin bis zu 52 Wochen. Jeden ersten Mittwoch im Monat bietet er zweijährige Schuldverschreibungen an, jeden dritten langfristige, also mit einer Laufzeit von 10, 20 und 30 Jahren. Am letzten Mittwoch des Monats gibt es keine Tender, denn das ist in der Regel der zweite Sitzungstag des Rats für Geldpolitik, und dessen Beschlüsse beeinflussen die Preisbestimmung von Schatzpapieren. Trotz der Staats-Bonitätskrise gibt es keinen Mangel an Abnehmern für polnische Schulden – während des letzten Tenders für Schatzwechsel am 31. Mai überstieg die Nachfrage das Angebot um das Dreifache.

Die gigantische Summe der öffentlichen Schulden sagt sogar Ökonomen nicht viel, deshalb werden die Staatsschulden meist dem Bruttoinlandsprodukt gegenübergestellt. So beläuft sich Polens Verschuldung heute auf 50,9% des BIP, also auf den Gegenwert der Hälfte der Güter, die unsere Volkswirtschaft im vergangenen Jahr produziert hat. Das klingt beunruhigend, liegt aber immer noch unter dem Durchschnitt der entwickelten Volkswirtschaften. Die Vereinigten Staaten schulden der Welt 83,2% ihres BIP, Frankreich 77,8% und Deutschland 73,2%. Am stärksten verschuldet ist in Europa Island (144,7 % des BIP), gefolgt von Italien (115,8 %) und Griechenland (115,1 %). Von den entwickelten Volkswirtschaften hat Japan die meisten Schulden angehäuft (220,1 % des BIP), und der am stärksten verschuldete Staat weltweit ist Zimbabwe (304,3 %). Polen nimmt auf der Liste der Schuldnerstaaten erst den 51. Platz ein. Unsere Schulden wachsen jedoch schnell, und wir zahlen nur die ältesten Verbindlichkeiten zurück – im März haben wir die letzte Rate von Giereks Schulden gegenüber dem Pariser Club beglichen.

Unter den entwickelten Volkswirtschaften gibt es heute keine, die nicht mit Krediten bis zum Hals lebte – Schulden haben sogar Luxemburg (14,5 % des BIP) und Hongkong (0,8 %). Fast alle Regierungen stehen in der Kreide – einen Haushaltsüberschuss hatten in Europa im letzten Jahr lediglich die Schweiz (0,7 % des BIP) und Norwegen (9,6%) , die meisten geben seit Jahren mehr aus, als sie an Steuern einnehmen. Die Koexistenz von Schulden und Defiziten allein ist noch nicht gefährlich. Bedrohlich wird die Situation, wenn bei einer hohen Verschuldung plötzlich ein Loch im Haushalt aufreißt, denn das bedeutet, dass die Steuereinnahmen des Staates im Verhältnis zu seinen Ausgaben gesunken sind. Eine solche Regierung erinnert an einen Kreditnehmer, der plötzlich die Arbeit verliert – die Einkünfte reichen nicht für den Unterhalt, von einer Rückzahlung von Verbindlichkeiten ganz zu schweigen. Deshalb droht jeder Verlust der Kontrolle über das Defizit mit einer Explosion der öffentlichen Schulden, und wenn letztere schon vorher hoch waren, entsteht das Risiko eines Liquiditätsverlusts, ja sogar der Zahlungsfähigkeit. Das erfahren derzeit Griechenland, Portugal und Spanien.

Seit es Staaten gibt, leiden sie unter Geldmangel, aber noch bis vor kurzem liehen sie es sich für einen konkreten Zweck von konkreten Menschen. So war es auch 1237, als der letzte lateinische Kaiser von Konstantinopel, Balduin II., Geld für eine Armee brauchte und Christi Dornenkrone bei venezianischen Kaufleuten versetzte. Schon damals praktizierte man den Handel mit Versicherungen. Ein Jahr später erwarb der für seine Frömmigkeit bekannte Ludwig IX. die Reliquie, und so gelangte sie nach Paris. Es ist auch vorgekommen, dass Herrscher Teile ihres Dominiums veräußerten, um leere Schatzkammern wieder zu füllen. Die USA wären nicht zur Großmacht aufgestiegen, wenn ihnen Napoleon 1803 nicht Louisiana verkauft hätte, um seine Kriege in Europa zu finanzieren und die Briten in Amerika zu binden. Die chronischen Liquiditätsprobleme von Regierungen wurden erst durch die Entstehung der Kapitalmärkte gelöst. Nach den Aktien, also Anteilen an Firmen, begann man auch mit deren Obligationen, also Schulden zu handeln. Und von da war es nur noch ein Schritt zur Emission von Schatzpapieren durch Regierungen. Zunächst noch für große Investitionen, mit der Zeit dann für alles.

 

Polen macht jeden Mittwoch Schulden. Am Montag vor jeder Auktion veröffentlicht das Finanzministerium das Angebot, also die Menge an Schulden, die es verkaufen möchte. Kaufen können sie ausgewählte Banken, die auf dem Wettbewerbsweg den Status eines Händlers von staatlichen Wertpapieren errangen – dieses Jahr sind es 12, darunter 9 inländische und 3 ausländische. Die Händler reichen Angebote mit einem konkreten Kaufpreis bei der Polnischen Nationalbank  ein, die sie mittwochs um 11 Uhr über eine Sonderleitung dem Finanzministerium übermittelt. Die Liste mit den kodierten Namen der Bieter erscheint auf dem Bildschirm der Abteilung Interbankenmarktinstrumente, von wo aus ein Ausdruck einer besonderen Arbeitsgruppe zur Beratung vorgelegt wird, die entscheidet, welche Gebote angenommen und welche abgelehnt werden sollen. Die Entscheidung wird in den Computer eingegeben und an die Banken versandt, und das Ergebnis des Tenders den Nachrichtenagenturen übermittelt. Das Landeswertpapierdepot verbucht die verkauften Obligationen im Register des Erwerbers, und die so geliehenen Gelder gelangen auf das Guthaben des Finanzministeriums bei der Nationalbank, also auf das Konto der polnischen Regierung.

 

2009 betrugen die Kosten des polnischen Schuldendienstes 5,3%, zehnjährige Obligationen rentierten im selben Jahr im Durchschnitt mit 5,87%. Zum Vergleich: Deutschland zahlt für vergleichbare Papiere 2,1%, Griechenland 12%. Die polnischen Schulden sind zu 73% in Złoty denominiert, weswegen sie weder einem Wechselkursrisiko noch den Stimmungsschwankungen von Investoren am anderen Ende der Welt ausgesetzt sind. Nach einem ähnlichen Prinzip lebt Japan mit Schulden, die sein BIP um das Zweifache übersteigen: Die meisten Obligationen kaufen die Japaner selbst, die statt zu konsumieren, obsessiv sparen. Wirtschaftsnationalisten wird die Nachricht beruhigen, dass unsere Schulden mehrheitlich in polnischen Händen bleiben: 49,1 % der Schatzanweisungen und -wechsel gehören offenen Rentenfonds, Investmentfonds und Versicherungen, 31,1 % Geschäftsbanken und nur 19,8 % ausländischen Investoren. Doch das Finanzministerium leiht sich auch Geld in Fremdwährungen und auf ausländischen Märkten – beispielsweise sind wir der größte Emittent aus Mitteleuropa an der Börse in Tokio.

 

Da es Regierungen wesentlich leichter fällt, Anleihen aufzunehmen als sie zurückzuzahlen, emittieren sie neue Obligationen hauptsächlich deshalb, um Kapital für den Rückkauf von alten aufzutreiben. „Wenn wir die Altschulden nicht rollen, kauft niemand die neuen“, sagt Piotr Marczak. Ein wichtiger Indikator ist daher neben der Verzinsung die Fälligkeit der Schulden, also die durchschnittliche Zeit, die bis zur Rückzahlung sämtlicher bisher verkaufter Obligationen bleibt. Im Falle Polens beträgt sie 5,4 Jahre, im Falle Großbritanniens 14. Kurzläufer sind niedriger verzinst, aber riskanter, weil sie öfter gerollt werden müssen. Wenn das in eine Krisenzeit fällt, können die Abnehmer der neuen Tranche einen höheren Zinssatz fordern, wovon sich Griechenland gerade schmerzlich überzeugen konnte. Sicherer sind langfristige Schulden, aber die Kosten für ihre Bedienung liegen höher. Außerdem ist nicht jeder in der Lage, sie zu verkaufen. Die Briten emittieren 50-jährige Obligationen, die den Polen wohl niemand abnehmen würde.

 

Regierungen, und nicht Korporationen sind heute die größten Spieler auf den Kapitalmärkten. Der Gesamtwert der öffentlichen Schulden (46 Bill. Dollar) ist mit der Kapitalisierung der internationalen Börsen (49 Bill. Dollar) vergleichbar, wobei auf 132 notierte Staaten Zehntausende Unternehmen entfallen und die Hälfte der öffentlichen Schulden weltweit Verbindlichkeiten der USA und Japans sind. Diese Explosion der öffentlichen Schulden begann vor 30 Jahren. Wenn erst die Entstehung eines Markts für Schatzpapiere es Regierungen überhaupt ermöglicht hat, Investitionen und Systeme in großem Umfang zu finanzieren, dann brachte die Liberalisierung der achtziger Jahre den Staaten den Zugang zu billigerem und anonymem Kapital. Diese Verfügbarkeit von Geld in Verbindung mit der Abneigung gegen eine Begrenzung der Ausgaben trieb die entwickelten Staaten ins gewohnheitsmäßige Leben auf Kredit. Sie bemerkten nicht, dass auch ein Risiko in sich birgt, die öffentlichen Schulden den Gesetzen des freien Markts zu unterwerfen. Dieselben Investoren, die in Zeiten der Prosperität Kapital in rauhen Mengen bereitgestellt haben, können in einer Krise plötzlich die Finanzierung einschränken. Zudem nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Märkte Regierungen wegen ihres Haushaltens ebenso streng zur Rechenschaft ziehen werden wie Korporationen.

 

Die Zahlungsfähigkeit von Staaten bewerten so genannte Rating-Agenturen. International kommt es auf drei an: Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch. Ihre Hauptaufgabe ist die Analyse der Kreditwürdigkeit von Firmen. Die Ratings von Staaten betreiben sie in größerem Maßstab erst seit den achtziger Jahren. „Wir bewerten Tausende von Banken und etwas über hundert Regierungen. Aber die Ratings von Staaten bringen uns Prestige“, sagt Kenneth Orchard, einer der Vizepräsidenten der Agentur Moody’s. In der Klassifikation von Standard & Poor’s ist die Bestnote AAA – dieses Rating haben zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Die Schulden dieser Staaten finden immer Abnehmer, sie können auch mit der niedrigsten Verzinsung rechnen. Die nächsten Noten AA, A, dann BBB, BB und so weiter bis zum Buchstaben D. Die Analysten sehen nicht nur auf ökonomische Kennzahlen und Perspektiven. Sie berücksichtigen auch die politische Stabilität oder die Reformfähigkeit. Polen hat seit 2007 die Note A-, einen Platz niedriger als Tschechien (A), aber drei Stufen besser als Ungarn (BBB-).

 

Regierungen achten sehr auf ihre Ratings, denn jede Herunterstufung macht es schwieriger, die Schulden zu rollen. So war es bei Griechenland, dessen Staatsanleihen im Dezember 2009 als erste in der Eurozone aus der Klasse A nach B abrutschten und im April den sogenannten „Junk“-Status (BB+) erreichten. Die erste Senkung des Ratings von Griechenland setzte eine Kaskade derartiger Maßnahmen seitens der übrigen Agenturen in Gang, und darauf folgte ein sprunghafter Anstieg der Verzinsung der griechischen Schulden und Sorgen um die Zahlungsfähigkeit des Landes.

 

Wegen der gemeinsamen Währung übertrugen sich die Währungsturbulenzen auf Portugal und Spanien, aber auch auf französische und deutsche Banken, die größten Gläubiger Griechenlands. Ein Rettungspaket beruhigte zwar die Wogen um die iberischen Länder, verstärkte jedoch Befürchtungen für die wirtschaftliche Zukunft von Euroland. Denn wenn die zugesagten intergouvernementalen Darlehen in Anspruch genommen werden sollten, stiege die Verschuldung der Eurozone übermäßig und gefährdete auch die Liquidität von Staaten, die von der Griechenlandkrise nicht berührt sind.

 

Aus der Schuldenspirale kommt man mit zwei Schritten heraus. Zuerst muss das Defizit reduziert werden, denn das bläht die Schulden auf. Deshalb stürzte sich ganz Europa, gleich nachdem es den Rettungsschirm über die gemeinsame Währung aufgespannt hatte, auch auf Ausgabenkürzungen, weil man die Märkte davon überzeugen wollte, dass man mit Bedacht haushalten kann. Die Deutschen verkündeten einen Fünfjahresplan, mit dem sie jährlich 10 Mrd. Euro (40 Mrd. Złoty) einsparen wollen, die neue britische Regierung begann mit Kürzungen des aktuellen Haushalts um 6 Mrd. Pfund (30 Mrd. Złoty), die Italiener wollen innerhalb von zwei Jahren 24 Mrd. Euro (96 Mrd. Złoty) einsparen und die Spanier 15 Mrd. (60 Mrd. Złoty).

 

Kürzungen sind auch in Polen unvermeidlich. Die öffentlichen Schulden haben den Euroland-Durchschnitt (78,7 % des BIP) zwar noch nicht erreicht, aber sie sind im vergangenen Jahr um 12 Prozent gestiegen. Das geschah sogar ohne große Konjunkturförderungs- und Bankenrettungsprogramme, die die entwickelten Volkswirtschaften in die Bredouille gebracht haben –der Rückgang der Steuereinnahmen infolge der globalen Rezession hat ganz einfach ein strukturelles Ungleichgewicht des polnischen Haushalts an den Tag gebracht.

 

Wenn ein Staat das Schuldenwachstum erst in den Griff bekommen hat, kann er sich an die Rückzahlung machen. In der Praxis werden alte Staatsanleihen zurückgekauft, ohne dass neue emittiert werden. Doch um das tun zu können, braucht man einen Haushaltsüberschuss und muss der Versuchung widerstehen, ihn für etwas anderes als die Rückzahlung von Schulden zu verwenden. In dieser Hinsicht vertrauen die europäischen Regierungen einander nicht mehr. Deshalb möchten einige Staaten, so wie Polen, die Höchstgrenzen für zulässige Schulden in die Verfassung aufnehmen. Fiskalische Disziplin verlangt auch Brüssel, während es zu einer Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts aufruft. Der Vertrag, der die Mitglieder der Währungsunion dazu verpflichtet, das Haushaltsdefizit unter 3 Prozent und den Schuldenstand unter 60 Prozent des BIP zu halten, ist heute totes Recht. Im vergangenen Jahrzehnt haben schon alle außer Finnland und Luxemburg die Defizitbeschränkungen gebrochen. Griechenland neun Mal, Italien sechs Mal, Frankreich, Deutschland und Portugal je fünf Mal, Österreich, Irland und Spanien je zwei Mal und Belgien ein Mal. Berlin und Paris, die vor einigen Jahren den Pakt eigenhändig demontierten, fordern heute Sanktionen für Verschwender.

 

Die Gegner des großen Sparens schlagen Alarm, so heftige Kürzungen der öffentlichen Ausgaben würden Europa in eine neue Rezession treiben. Aber beim derzeitigen Stand der Verschuldung kann die alte EU ohnehin nicht mit Wachstum rechnen. Laut Prof. Kenneth Rogoff, einem Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard University, ist in der globalen Wirtschaft das wahre Maß für die Zahlungsfähigkeit von Staaten die Summe ihrer Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland. Diese Zahlen zeigen Europas krankhafte Kreditabhängigkeit am besten: Die britische Bruttoauslandsverschuldung betrug im letzten Jahr nicht weniger als 408 % des BIP, die französische 248%, die deutsche 182,5 % und die irische sogar 1312 %. Zum Vergleich: Amerika als Ganzes schuldet der Welt 96,5 % des BIP, Japan gerade einmal 40,3 % und Polen schon 59,2 %. Nach Rogoffs Berechnungen ist für sich entwickelnde Volkswirtschaften eine Bruttoauslandsverschuldung bis zu einer Höhe von 60 % des BIP nicht wachstumsschädlich. Nach Erreichen dieser Schwelle frisst sie dann rund 2 % Wachstum jährlich, und nach Überschreiten von 90 % beschneidet sie es sogar um die Hälfte.

 

Dass Staaten Schwierigkeiten damit haben, ihre Schulden zu begleichen, ist keineswegs selten. Die Griechen sind schon im 4. Jahrhundert vor Christi bankrott gegangen, als 10 der 13 attischen Stadtstaaten die Rückzahlung von Verbindlichkeiten gegenüber dem Tempel in Delos verweigerten. Im 16. und 17. Jahrhundert erklärten sich Frankreich, Spanien, Portugal und Preußen für zahlungsunfähig, einige sogar mehrmals, und im Europa des 19. Jahrhunderts waren Krisen vor dem Hintergrund von Schuldenrückzahlungen beinahe eine Alltäglichkeit. In den Jahren 1826-30 ging beinahe ganz Südamerika pleite, und die nächste Plage der Zahlungsunfähigkeit brachte in den Industrieländern die Weltwirtschaftskrise. Staaten lehnten die Rückzahlung ihrer Schulden nach Kriegen und Revolutionen ab, wenn sie ganz einfach kein Geld hatten, oder nach einem Wechsel des Systems, um ihre Verachtung gegenüber den früheren Gläubigern zu demonstrieren (wie die Tschechoslowakei 1952). Seit 1998 zählte Moody’s 13 Fälle von Staaten, die Schwierigkeiten hatten, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Der Reihe nach waren dies: Venezuela, Russland, die Ukraine, Pakistan, Ecuador, die Ukraine, Peru, Argentinien, Moldawien, Uruguay, die Dominikanische Republik, Belize und Ecuador. Die beiden letzteren 2008.

 

 Regierungen unterliegen den Gesetzen des Marktes, aber sie gehen nicht so bankrott wie Korporationen: Man kann einen Staat nicht wegen seiner Schulden übernehmen oder sein Vermögen versteigern. Deshalb endet die Zahlungsunfähigkeit in der Regel auch mit einer Umschuldung, also einem Aufschub des Datums für die Rückzahlung der Anleihen, schlimmstenfalls mit der Abschreibung eines Teils des geliehenen Kapitals. Im vergangenen Jahrhundert hatte Polen zweimal Schwierigkeiten, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen: 1936 und 1981. Eine der zu wenig gewürdigten Leistungen des Balcerowicz-Plans war die Neuverhandlung der volkspolnischen Schulden, ohne die die Dritte Polnische Republik  mit dem Makel des Bankrotts geboren worden wäre. Wie gefährlich dessen Konsequenzen sein können, zeigt der Bankrott Argentiniens 2001. Die meisten Gläubiger willigten in den Verlust von 65 % des Kapitals ein, der Rest lehnte diese Bedingungen jedoch ab. Infolgedessen kann die Regierung in Buenos Aires seit acht Jahren keine Anleihen mehr auf den Märkten im Ausland begeben, weil die ehemaligen Gläubiger damit drohen, die aufgenommenen Gelder als Anrechnung auf die argentinischen Verbindlichkeiten beschlagnahmen zu lassen.

 

Entwickelten Volkswirtschaften droht ein Bankrott eher nicht. Trotz der anschwellenden Schulden sind Staatsanleihen immer noch sicherere Anlagen als Schuldverschreibungen von Banken oder Korporationen, und westliche Regierungen bleiben die zuverlässigsten Schuldner in der Welt. Die Liquiditätskrise der Staaten wirft jedoch eine grundsätzliche Frage auf: Wie beabsichtigen die entwickelten Volkswirtschaften, die Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten zu verdienen? Eine Antwort darauf bleiben sie schuldig, und als Wendepunkt muss die Tatsache reichen, dass die Nachsicht gegenüber einer unverantwortlichen Haushaltspolitik und der Glaube, dass es auf der Welt Regierungen gibt, die immer zu einem niedrigen Zinssatz Geld aufnehmen können, geschwunden sind.

 

Wirtschaftsexperten sagen, dass es in einigen Jahren möglicherweise keine Staaten mehr geben wird, die ein AAA Rating verdienen, und die Politiker haben endlich begriffen, dass sie entgegen den Wünschen ihrer Bürger sparen müssen. Man kann nicht immer auf Pump leben, und Kredite müssen zurückgezahlt werden. Das gilt auch für Polen.


Der Text erschien in der Polityka Nr. 24 vom 9.6.2010. Übersetzung: Silke Lent
| Redaktion: Paul-Richard Gromnitza |
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